In seinen jungen Jahren zählte Jan „Shigi“ Schiegnitz zu den Wilden der Szene: Wakestyle, Obstacles, New-School – er brachte diese Dinge voran und war eine der prägenden Figuren einer neuen Generation von Kitern, die mit langen Hosen überm Neo, Helm, Sonnenbrille und Old-School-Manövern nicht mehr viel anfangen konnte. Sein Style war eher vom Snow- oder Wakeboarden und vor allem von der amerikanischen Wakestyle-Szene geprägt. Doch auch der wildeste Hund wird irgendwann erwachsen. Heute ist Shigi praktizierender Arzt – und trotzdem noch Kite-Profi. Wie er seine Rolle heute defi niert, wie er die deutsche Kite-Szene siehtund wo man trotz Platzmangel an der deutschen Ostseeküste noch ganz entspannt alleine kiten kann, verrät der Wahl-Kieler im Interview.

Sag mal, Shigi, man sieht in letzter Zeit recht viele Foil-Bilder von Dir auf Facebook. Kein Bock mehr auf Wakestyle und Obstacles oder wirst Du langsam alt?
(Lacht) gute Frage. Nein, das ist tatsächlich faszinierend. Für mich bedeutet Foilen, das Kiten noch einmal neu zu entdecken. Plötzlich fühlt man sich wieder wie ein Anfänger und kann unglaublich viel lernen. Deshalb war ich in letzter Zeit so viel auf dem Foil unterwegs. Aber das sind natürlich nur die Bilder, die auf meinen Online-Kanälen auftauchen und immer nur Momentaufnahmen von dem, was ich alles mache. Ich fahre schon noch Freestyle – gerade erst wieder bei den Kitesurf Masters. Aber es haben lustigerweise einige Leute gedacht, ich hätte den Freestyle an den Nagel gehängt. Dafür klappt es aber eigentlich noch ganz gut. Ich lege mich da nur ungern fest, denn beim Kiten macht mir jede Disziplin Spaß. Ich würde zum Beispiel nicht bei guten Freestyle-Bedingungen mit dem Foil rausgehen oder bei guten Wellen. Aber als Ergänzung – insbesondere bei Leichtwind – ist das einfach grandios.

Wie schätzt Du den Foil-Trend ein? Ist das eine langfristige Entwicklung oder nur ein Hype?
Ich sehe im Foilen tatsächlich die Zukunft im Wassersport. Damals dachten auch viele Leute, feste Bindungen würden sich nie durchsetzen und heute sieht man die recht häufi g. Bei uns hat man häufi g Leichtwind-Bedingungen und allein schon deshalb wird Foilen immer stärker. Schau Dich doch mal um im Wassersport: Die Segler sind auf den Zug aufgesprungen, Windsurfer und SUP sowieso und sogar Kajaker haben schon Foils unterm Kiel. Das wird ein riesiges Segment! In Frankreich oder den USA gibt es bereits eine große Szene, die das richtig vorlebt. Dort sieht man teilweise schon mehr Foiler als normale Kiter an den Spots.

Du bist bei Liquid Force im International Team. Damit gehören Leute wie Christophe Tack, Gisela Pulido oder Brandon Scheid zu Deinen Kollegen. Baut Liquid Force mehr auf Lifestyle als auf Contests? Und wie defi nierst Du Deine Rolle als Teamfahrer?
Ich glaube, dass die Marke das recht ähnlich sieht wie ich: Für mich ist Kiten eigentlich keine Wettkampfsportart. Klar, die Events und Contests sind ganz nett, um sich gegenseitig mal etwas zu battlen, aber für mich persönlich braucht der Sport keine Wettkämpfe, um sich sich nach außen zu präsentieren. Der Sport und die Szene für sich lebt schon genug. Ich sehe da Parallelen zu anderen Action-Sportarten, wie zum Beispiel Snowboarden: Da ging es auch lange um die Frage, ob Olympia dem Sport hilft oder nicht. Damals hat Olympia Snowboarden gebraucht, aber Snowboarden hat Olympia nicht gebraucht. Und so sehe ich das auch beim Kiten. Liquid Force hat da denke ich eine ähnliche Einstellung. Klar ist es geil, wenn man einen Weltmeister im Team hat, aber Kiten ist so viel mehr, als eine gute Wertung bei einem Contest. Abgesehen davon gewinnt bei den Contests nicht immer unbedingt der Beste, sondern derjenige, der am meisten Los-Glück oder gerade die guten Windbedingungen erwischt hat. Also sehe ich als Teamfahrer meine Rolle darin, das zu präsentieren, was den Sport für mich persönlich ausmacht und das ist eben viel mehr als irgendwelche Titel.

Foto: Vincent Bergeron

Der Sport braucht eigentlich keine Wettkämpfe, um sich zu präsentieren.

Du scheinst – trotz Job – nach wie vor recht viel in der Welt herum zu kommen. Sind das mittlerweile eher private Reisen oder bist Du noch viel professionell unterwegs?
Glücklicherweise lässt sich das in der Regel ganz gut miteinander verbinden. Wir waren zum Beispiel Anfang des Jahres einige Wochen auf den Malediven bei einer Resort-Eröffnung und haben dort etwas mitgearbeitet. Da blieb nebenbei recht viel Zeit zum Kiten. Danach ging es nach Süd-Frankreich für ein Shooting mit Liquid Force. Irgendwie ergeben sich so eigentlich ständig neue Möglichkeiten, die sich oft schlecht vorausplanen lassen. So richtig trennscharf ist es nie, ob das jetzt Privatvergnügen oder „Job“ ist. Für mich ist das spannendste, dadurch immer wieder an Orte zu kommen, die in Bezug auf Kiten noch völlig unbekannt sind. Zuletzt zum Beispiel auf den Azoren – die hat kein Mensch auf dem Schirm, aber es gibt richtig gute Kite-Bedingungen. So etwas zu entdecken macht natürlich Spaß.

Hattest Du eigentlich damals, als sich herausstellte, dass Du eine Profi -Karriere starten könntest, den Plan, damit mal Deinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder war Dir von Anfang an klar, dass Du das für eine gewisse Zeit machst und Dir danach einen „seriösen“ Job suchst?
Es war auf jeden Fall mal mein Traum, mit dem Kiten mein Geld zu verdienen. Doch dann habe ich mich ein paar Mal verletzt und durch solche Verletzungen wird man plötzlich geerdet. Wenn man ein halbes Jahr mal auf Krücken läuft, sieht man die Welt etwas anders. Plötzlich merkt man, wie abhängig man von der Gesundheit ist und dann fällt das Kartenhaus, das man sich vorher aufgebaut hat, recht schnell zusammen. Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich ganz froh darüber bin, dass Kiten nie zur Pfl icht wird, weil ich damit Geld verdienen muss, sondern das machen kann, worauf ich Lust habe. Ich kann mir aussuchen, zu welchen Wettkämpfen ich fahre und muss auch nicht zwanghaft bei schlechten Bedingungen rausgehen. Die Leidenschaft sollte Leidenschaft bleiben und nicht zum Zwang werden.

Und wenn du mal keine Lust auf Kiten hast, gehst Du Angeln. Woher kommt Deine Passion für den Altherren-Sport?
Nein, Angeln ist schon geil. Manche golfen, andere angeln. Es ist einfach nett, mit ein paar Kumpeln rauszufahren und die Abendstunden zu genießen. Ich gehe auch nur Angeln, wenn das Wetter gut ist und man nicht Kiten kann. Irgendwie ist das die perfekte Ergänzung: Man ist trotzdem auf dem Wasser, genießt das Leben, die Segelschiffe fahren vorbei. Man fängt sich das Abendessen und grillt es dann am Strand. Für mich ist das der Hammer.

Foto: Vincent Bergeron

Du bist in Würzburg aufgewachsen, kennst Dich also auch in Süddeutschland gut aus. Wie siehst Du die Kite-Szene im Nordern im Vergleich zum Süden?
Da gibt es auf jeden Fall krasse Unterschiede! Zum Beispiel gibt es im Süden an den Seen teilweise schon sehr feste Strukturen. Ein gutes Beispiel ist der Neusiedler See: Dort herrscht etwas überspitzt gesagt ein richtiger Ost-West-Konfl ikt zwischen den See-Ufern. Es geht ein bisschen darum, wer das coolere Ufer hat (lacht). Und so hat jeder See glaube ich seinen eigenen Klüngel. Das funktioniert im Norden anders. Hier ist man natürlich viel mehr an unterschiedlichen Spots unterwegs und deshalb ist die Szene auch größer beziehungsweise etwas offener. Hier hocken alle weniger stark aufeinander und es ist allein schon durch die größere Anzahl der Kiter im Vergleich zum Süden deutlich mehr los.

Derzeit wird viel über Kite-Verbote an Nord und Ostsee diskutiert. Bist Du als Local in solche Diskussionen involviert und wie ist Dein Standpunkt dazu?
Das ist eine ziemlich große Bedrohung. Wenn man hört, dass die Landesregierung ein generelles Kite-Verbot durchsetzen möchte, sträuben sich mir die Nackenhaare und man geht auf die Barrikaden. Natürlich haben wir jetzt die Hoffnung in Schleswig-Holstein, dass sich mit dem Wechsel zur Jamaika-Koalition die Lage etwas entspannt. Ich hoffe, dass man auf politischer Ebene zu der Einsicht gekommen ist, dass es vielleicht doch nicht so günstig ist, so ein Verbot durchzusetzen, da man als Politiker bei solchen Vorhaben mittlerweile viel Gegenwind erntet. Dabei haben natürlich Aktionen wie die Unterschriften-Kampagne oder die Gründung von Kite-Vereinen und Verbänden geholfen. Ich bin der Überzeugung, dass es gar nicht so sehr um Umweltthemen geht, sondern der Streit eher ein Lobby-Konfl ikt ist, in dem die eine Seite die andere vertreiben will. Kiten ist für mich keine umweltschädliche Sportart. Und die meisten Kitesurfer, die ich kenne, haben ein sehr großes Umweltbewusstsein. Die passen darauf auf, dass der Strand sauber bleibt, dass keiner seinen Müll liegen lässt und versuchen, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Natürlich ist es gut, dass das Thema jetzt vorerst halbwegs auf Eis gelegt ist, aber ich sehe auch ganz klar die Bedrohung, dass verschiedene Interessensgruppen nach wie vor versuchen Kitesurfen unterzubuttern. Auch wenn Kiten für die meisten eine Individualsportart ist und es vermeintlich uncool ist, sich in Verbänden zusammen zu schließen, bin ich der Ansicht, dass sich die Kiter auf jeden Fall zusammenraffen und Vereinigungen bilden müssen, um geschlossen und mit einer Stimme als Gruppe aufzutreten. Deshalb bin ich bei einigen Verbänden Mitglied und engagiere mich dafür. Die Einstellung „Ich bin Soul-Surfer und will hier nur meine Zeit genießen“ funktioniert leider nicht mehr. Der Platz an unserer Küste ist nunmal begrenzt und wird von vielen Parteien gemeinsam genutzt. Da ist es natürlich, dass einige gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen. Umso wichtiger ist es, die Position der Kiter durch ein geschlossenes Auftreten zu stärken.

Foto: Vincent Bergeron

Stichwort: Platzmangel an der Küste. Die wachsende Anzahl der Kiter auf der einen Seite und drohende Spot-Schließungen auf der anderen Seite führen logischerweise zu Spannungen. Die Industrie hätte natürlich gern mehr Wachstum, was vor allem noch mehr Neueinsteiger erfordern würde. Wie schätzt Du das Wachstumspotential des Sports ein? Haben wir den Zenit schon erreicht oder wird es künftig in Deutschland noch deutlich mehr Kiter geben?
Ich glaube, dass Kiten noch in den Kinderschuhen steckt und dass der Sport so viel Potential hat und neue Richtungen entwickeln kann, von denen wir heute noch gar nichts wissen. In den letzten Jahren kam beinahe jährlich irgendeine neue Entwicklung, eine neue Disziplin oder so etwas dazu. Wir haben so viele Möglichkeiten und stehen da immer noch ganz am Anfang. Klar, die Spots werden voller, aber es ist ja nicht so, dass wir an der Küste keinen Platz mehr hätten, um Kiten zu gehen. Es gibt so viele Spots, die unerschlossen sind und ich bin so häufi g allein auf dem Wasser, dass ich es manchmal kaum glauben kann.

Verrätst Du uns auch, wo diese Spots sind, an denen trotz guter Bedinungen nichts los ist?
Naja, ich bin zum Beispiel sehr gern an der Westküste rund um Kiel bei Ostwind unterwegs. Da gibt es relativ viel Steilküste und steinigen Strand. Dort läuft häufig eine geile Welle oder es gibt schöne Freestyle-Bedingungen. Man muss eben nur etwas genauer hinschauen, wo es gut geht.

Sind die meisten Kiter etwa Lemminge, die immer nur nach Gold oder SPO tingeln, weil da eh schon so viel los ist? Und bist Du manchmal auch an diesen Hotspots unterwegs oder nervt Dich der Trubel?
(Lacht) Nein, es ist natürlich schon so, dass bei uns jeder so ein bisschen „seine“ Home-Spots hat, an denen meistens wenig los ist. Das sind aber ehrlicherweise meistens auch die etwas anspruchsvolleren Spots. Etwas mehr Welle oder ein schwieriger Einstieg führen in der Regel dazu, dass dort automatisch weniger Leute kiten, weil es nicht so bequem ist. Es ist auch nicht so, dass ich solche Spots geheim halte. Da ist einfach generell wenig los.

Foto: Vincent Bergeron

Abschlussfrage: Sind Großveranstaltungen wie der Kite World Cup auf Fehmarn oder die Kitesurf Masters in SPO wichtig für den Sport oder ist das ein Auslaufmodell?
Ich glaube, ein Mittelding wäre das richtige. Die Masters fand ich vom Konzept und der Ausrichtung schon ganz gut. Zumindest stand der Sport in SPO mehr im Vordergrund und man hat dort weniger auf Party und Massenpublikum abgezielt. Wobei da natürlich auch sehr viele Nicht-Kiter herumlaufen. Ich denke, etwas in dieser Art hat eher Zukunft. Großveranstaltungen sind definitiv ein Mittel, um den Sport bekannter zu machen. Es ist doch hammergeil, wenn Deutschland einen World Cup ausrichtet. Bisher war das immer einer der Events, auf den sich auch die Fahrer auf der Tour am meisten gefreut haben und wo wirklich die ganze Szene am Start war. Deswegen würde ich mich freuen, wenn der World Cup wieder nach St. Peter-Ording käme, da dort einfach die besten Voraussetzungen – auch aus sportlicher Sicht – für ein Event dieser Größenordnung herrschen. Natürlich muss man sich am Ende des Tages die Frage nach den Interessenslagen stellen: Da gibt es einen Veranstalter mit einem kommerziellen Interesse. Der muss seine Sponsoren glücklich machen und braucht deshalb möglichst viele Besucher. Dann wird ein Jan Delay oder wer auch immer auf eine Bühne gestellt und schon kommen ganz viele Menschen, die mit dem Sport aber eigentlich nichts zu tun haben. Ich denke dagegen: Auch für einen World Cup braucht man nicht die großen Bühnen, sondern sollte eher Kiten als das, was es ist, in den Vordergrund stellen: ein super interessanter Sport, der von sich aus Zuschauer begeistern kann.