Bei F-One ist Testen Chefsache: Raphael Salles gibt im KITE-Gespräch einen Blick hinter die Kulissen der Entwicklungsarbeit bei den Franzosen und verrät seine Erfolgsformel.

F-One Chef Raphael Salles

Hallo Raphael, Du hast während mal gesagt: Sobald Ihr einen neuen Bandit auf den Markt bringt, habt ihr bereits eine Liste mit Punkten, die Ihr beim Nachfolgemodell verbessern oder ändern wollt. Steckt dahinter eine langfristige Strategie oder wieso will man einen Kite, den man gerade erst herausgebracht hat, schon wieder verändern?
In Wahrheit handelt es sich bei der Kite-Entwicklung um einen andauernden Prozess, dessen Anfang lang zurück liegt und der wahrscheinlich nie ein Ende hat. Und von Zeit zu Zeit während dieses fortlaufenden Prozesses sagen wir „Stopp, für den Moment ist es das jetzt“, aber dann machen wir sofort weiter. Es ist immer nur ein weiterer Schritt, niemals das Ende. Wir hätten auch zwölf Jahre am Stück entwickeln können, um an dem Punkt anzukommen, an dem wir heute sind. So haben wir uns mit dem Bandit eben für zwölf Zwischenstufen entschieden und sind schlussendlich auch beim heutigen Bandit angekommen. Außerdem müssen wir ja zwischendurch auch etwas verkaufen, um die ganze Entwicklungsarbeit zu finanzieren und die Firma am Laufen zu halten (lacht).

Von Modelljahr zu Modelljahr fallen die Unterschiede zum Vorgänger-Kite mal kleiner, mal größer aus. Kannst Du schon sagen, wie das über die nächsten fünf Jahre aussehen wird? Wieviel ist im Bereich Entwicklung noch machbar, ohne dass sich irgendwann die „alten“ Charaktereigenschaften wiederholen? In der Modebranche ein beliebtes Vorgehen – bei Kitedesignern auch irgendwann denkbar?
Nein, ich bin jedes Mal wieder überrascht, wieviel wir in der Entwicklung noch herausholen können. Letztes Jahr haben wir beim Bandit bereits einen großen Schritt gemacht und dieses Jahr gleich nochmal. Wir lernen ständig dazu. Dinge, die wir früher nicht wussten, sind uns heute klarer und helfen uns, die Zusammenhänge der winzig kleinen Details besser zu verstehen. Robert (Graham, Kite-Designer bei F-One; Anm. d. Red.) hat im Umgang mit der Konstruktionssoftware stetig dazu gelernt und kann mittlerweile Dinge entwickeln, von denen wir früher nie zu träumen gewagt hätten. Außerdem arbeiten wir im Team, also Robert, Micka (Fernandez; Anm. d. Red.) und ich, mit jedem gemeinsamen Jahr effizienter, lernen schneller und finden Lösungen für Probleme schneller. Micka ist mittlerweile 42 Jahre alt und hat unfassbar viel Erfahrung. Und ich selbst lerne auch stetig dazu. In dieser Konstellation können wir neue Entwicklungen in sehr kurzer Zeit testen und viel genauer beurteilen. Unsere Ergebnisse sind über die Jahre immer präziser geworden, sodass wir Robert die richtigen Antworten auf seine Fragen liefern konnten. Das ermöglicht es ihm, mit größerer Sicherheit in eine bestimmte Richtung zu entwickeln. Er kann sich darauf verlassen, dass das, was Micka und ich ihm sagen, auch wirklich genau so stimmt. Natürlich haben wir in dem ganzen Prozess früher auch Fehler gemacht. Aber aus diesen Fehlern lernt man eben und nur so kann man sich verbessern. Ich habe fast fünfzehn Jahre darauf hingearbeitet, dieses Level im Bereich der Entwicklung zu erreichen. Mit Micka und Robert habe ich sogar eine Art eigene Sprache entwickelt, die uns die Arbeit erleichtert. Die Art, wie jeder von uns denkt und wie wir miteinander sprechen, ist denke ich einzigartig und kann nur entstehen, wenn man so lange in derselben Konstellation zusammenarbeitet. Das verstehen allerdings auch nur noch wir, für Außenstehende muss das wie Kauderwelsch klingen (lacht). Stell Dir vor, Du spielst Tennis mit einem guten Spieler. Der wird Dir den Ball immer wieder zurückspielen. Genau das hält unsere Arbeit am Laufen, nur spielen Robert, Micka und ich eben zu dritt.

F-One Chef Raphael Salles

Einige Kitedesinger haben mir erzählt, dass sie mittlerweile den Großteil der Zeit am Computer arbeiten und nur kurz unter Realbedingungen testen, ob das Produkt wirklich wie geplant funktioniert. Wie wichtig ist bei Euch das Testen auf dem Wasser im Vergleich zur Entwicklungsarbeit, die Robert am Computer macht? Du erzählst ja gern, wieviel Zeit Du und Micka auf dem Wasser verbringen.
Wir verbringen wirklich unglaublich viel Zeit auf dem Wasser. Einerseits, um zu Testen und andererseits, um uns dabei die richtigen Fragen zu stellen und möglichst auch für Robert die richtigen Antworten zu finden. Nehmen wir ein blödes Beispiel: Autos. Wenn der Fahrer nicht weiß, was das Auto tut, wenn er beispielsweise denkt, der Motor hätte zu wenig Dampf, in Wahrheit schleift aber die Bremse. Dann wird er das dem Ingenieur sagen und der Ingenieur sucht den Fehler am Motor, aber nicht an der Bremse. Damit will ich sagen: Was wir auf dem Wasser machen, ist enorm wichtig, denn nur dann kann der Designer an den richtigen Stellschrauben drehen. Wenn Du einem Weltklasse Designer Mist erzählst, dann wird er auch nur Mist entwickeln. Und wenn Du ein überragendes Testteam hast, aber der Designer nicht in der Lage ist, die Vorgaben umzusetzen und die richtigen Lösungen zu entwickeln, dann wird auch nichts Brauchbares dabei herauskommen. Insofern sind für mich beide Seiten gleich wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können.

Habt Ihr bei der Entwicklung eines neuen Modells bestimmte Markttrends im Kopf? Ihr werdet Eure Kites ja sicher auch mit denen Eurer Mitbewerber vergleichen. Willst du verraten, welche Kites Ihr zum Vergleich heranzieht?
Wenn du ein guter Tester bist, so wie Micka und ich es versuchen zu sein, dann bist Du in der Lage, mit einem komplett neuen Kite eine halbe Stunde aufs Wasser zu gehen und kannst direkt die guten Eigenschaften von den schlechten trennen. Es kann also schon mal vorkommen, dass wir ein Konkurrenzmodell fliegen und zu Robert sagen, dass wir diese oder jene Eigenschaft haben wollen, auch wenn uns der Kite als Gesamtes eigentlich überhaupt nicht gefällt. Das kann ein ganz bestimmtes Bargefühl sein, Haltekräfte, der Querzug oder was auch immer. Dann überlegen wir, wie wir das in unseren Bandit integrieren können, ohne dass wir den Bandit grundlegend verändern müssen. Es kommt sehr selten vor, dass ich alle Features eines Kites von anderen Herstellern mag. Ich picke mir da lieber ab und zu ein paar Rosinen heraus. Das sind allerdings nicht viele. Während einer Saison probieren wir vielleicht fünf oder sechs Modelle von anderen Marken aus. Für mehr haben wir überhaupt keine Zeit. Da schauen wir uns eher gezielt um und probieren die Konzepte aus, die wir aus verschiedenen Gründen interessant finden. Ich kann auch gar nicht pauschal sagen, welche Modelle oder Hersteller das sind, denn es sind immer andere.

Wie stark unterscheidet sich Eure Testarbeit, wenn Ihr im Winter auf Sal allerfeinste Labor-Bedingungen genießt und Euch dann im Frühjahr zuhause wieder grantiger Mistral peitscht? Sind die Ergebnisse dann noch reproduzierbar?
Da hast Du recht, die Bedingungen sind sehr unterschiedlich. Der Wind bei uns in der Region um Montpellier kann sehr ruppig sein, dazu kommen die kälteren Temperaturen. Aber genau diese unterschiedlichen Bedingungen wollen wir ja haben. Wenn wir nur auf Sal oder nur auf Hawaii testen würden, dann sähen unsere Kites vermutlich heute anders aus. Dort spürt man zum Beispiel weniger die Relevanz einer großen Windrange und Depower, da der Wind dort viel konstanter ist als bei uns. In unseren Extrembedingungen merkst Du relativ schnell, wenn Du bei der Entwicklung etwas vergessen hast.

F-One Chef Raphael Salles

Du hast gesagt, dass der Bandit nach wie vor 80% Eures Umsatzes generiert. Nun habt ihr seit einiger Zeit weitere Kites im Programm, die Du als „Satelliten“ bezeichnest, die um den Bandit kreisen. Wenn allerdings der Löwenanteil Eurer Entwicklungsarbeit immer noch in den Bandit gesteckt wird, wieviel Zeit könnt Ihr dann für die anderen Kites investieren? Eine Race-Matte, wie den Diablo, zu entwicklen, ist ja an sich schon eine furchtbar aufwendige Angelegenheit.
Stimmt, das ist wirklich ein enormer Aufwand. Der Diablo wurde zu 100% von Robert entwickelt, in Zusammenarbeit und mit dem Feedback unseres Foil-Racing-Teams. Früher hat er beim Diablo sogar noch die Testarbeit selbst gemacht, das können ihm mittlerweile einige Teamfahrer abnehmen, die in dem Bereich wirklich ausgezeichnetes Feedback geben. Mit dem Bandit verbringt Robert kaum Zeit auf dem Wasser, lediglich hin und wieder für ein paar Checks während unserer Testwochen. Das übernehmen Micka und ich größtenteils, genauso wie beim Breeze. Für den WTF läuft das ähnlich wie beim Diablo – da sind die Freestyle-Teamfahrer sehr eng eingebunden. Robert hat mit ihnen extra eine Testwoche in Tarifa gemacht, bei der war ich nicht einmal anwesend. Wir haben vorher nur die ersten zehn oder zwölf Prototypen vom WTF gemeinsam mit ihm abgestimmt, um die grobe Richtung und den richtigen Look vorzugeben. Alles andere haben die Teamfahrer ganz allein mit Robert gemacht. Allerdings ist so ein spezieller Kite, wie ein reinrassiger Freestyle-Kite, für uns auch nicht so arg schwer zu entwickeln. Der muss eben nicht zig Dinge gleich gut können, sondern da kommt es „nur“ auf vier oder fünf wichtige Punkte an. Einen Bandit zu entwickeln ist im Vergleich dazu, wie den Everest zu besteigen.

Nutzt Ihr beim Testen technische Hilfsmittel, zum Beispiel GPS-Sensoren, um Tempo oder maximale Amwind-Winkel zu messen oder Sprungsensoren für Höhe und Hangtime? Wenn Du sagst, der Bandit ist einer der besten Hangtime-Kites, wie evaluiert ihr das?
Nein, vier verlassen uns dabei auf unser Feeling und auf unsere Testroutine. Wenn wir zum Beispiel die Höhelaufeigenschaften überprüfen, dann fahre ich dicht neben Micka, beide auf maximalem Amwindkurs. Nach zwei drei Schlägen haben wir dann ein sehr genaues Bild über Power, Depower, Querzug und Amwindleistung. Wir fahren dabei immer in derselben Position, Micka ist immer downwind vor mir, er ist auch ein kleines bisschen leichter. Er ist dann quasi meine Referenz und ich kann schauen, wo ich im Vergleich zu ihm ankomme. Das wiederholen wir dann von arg unterpowert bis völlig überpowert. Nach dem Höhelaufen kommen bestimmte Sprünge, wie Kiteloops oder andere Freestyle-Manöver, die wir untereinander auch sehr gut vergleichen können. Da vertraue ich mehr auf unser beider Gefühl als auf irgendwelche Messgeräte. Wenn man eine Böe erwischt oder der Absprung sich aufgrund des Chops ändert und man nur stumpf auf die Anzeige der Messgeräte blickt, dann würde das Ergebnis von den realen Werten abweichen. Unser Gefühl und der Vergleich zwischen Micka und mir funktioniert deutlich verlässlicher.

Micha Fernandez (l) und Robert Graham

Auf welche Charaktermerkmale bist Du beim Bandit besonders stolz?
Beim neuen Bandit sind das die Windrange, der Komfort, sein smoothes Handling und die Wendigkeit. Das beeindruckt mich wirklich. Außerdem haben wir denke ich ein ganz besonderes Feeling hinbekommen, also die intuitive Verbindung, die Du zum Kite spürst. Übertrieben gesagt: Der Kite beginnt schon genau das zu machen, was Du willst, bevor Du überhaupt richtig darüber nachgedacht hast, dass Du es machen willst. Der Kite kann quasi hellsehen (lacht).

Noch eine letzte Frage zum allgemeinen Marktgeschehen, da sich ja diesen Sommer sehr viel bewegt hat. Sind die Veränderungen bei den anderen Herstellern für F-One eher Chance oder Risiko?
Wir sehen das als Chance. Ich vergleiche das mal mit der Zeit, als ich noch Wettkämpfe gefahren bin. Da lag man oft an vierter oder fünfter Position im Rennen und wusste, dass man zwar nicht schneller fahren kann, aber man kann auf einen Fehler eines Konkurrenten lauern. Wir sind finanziell gesehen nicht so groß, wie diverse andere Marken in der Industrie, aber wenn einer von denen im Rennen eine Halse verpasst, dann sind wir sofort da und können vorbeiziehen. Wir haben sehr viel Dynamik und Energie in der Firma, die wir nutzen, um uns und unsere Produkte weiter zu entwickeln. Wenn Du diese Energie nutzt, um zum Beispiel Deinen Namen zu ändern oder die Firma zu verändern oder was auch sonst, dann kann es natürlich sein, dass Du andere wichtige Dinge vergisst. Also ja, wir sehen die Situation derzeit wirklich als Chance.