Wingfoilen: Spielzeug oder Sportgerät?Diese Frage hat sich Cabrinha-Teamrider Daniel Dingerkus seit dem Auftauchen der ersten Wings im Internet gestellt. Seitdem hat er sich mehrere Monate mit dem neuen Sport auseinandergesetzt und autodidaktisch Wingfoilen erlernt. Für KITE schildert er seine Erfahrungen und gibt Tipps, wie der Start gelingt. // Fotos: Simon Dingerkus

Wie Pete Ca­brinha hat auch Da­niel schnell die Faszination beim Wingfoilen für sich entdeckt

Schon als ich die ersten Videos von Wingfoilern im Internet sah, war ich direkt fasziniert. Ich fing 2010 mit dem Kiten an, davor war ich Wind­sur­fer. Seit 2017 hat mich das Foil-Fieber gepackt. Zuerst war das „nor­male“ Foi­len mit dem Kite an der Reihe, 2019 kamen Surf-Foilen und Wind­surf-­Foilen dazu. Zusam­men­fas­send kann man also sagen: Ich hatte bereits einiges an Erfahrung mit diversen Foil-Typen gesammelt, bevor ich mich erstmals mit einem Wing in der Hand auf ein Foil-Board stellte.

Ich wohne in München, demzu­fol­ge sind die meisten meiner Surf-­Ses­sions mit Reisen verbunden. Da ich häufig sowohl mit dem Van als auch im Flugzeug unterwegs bin, wollte ich nicht noch ein weiteres Board mit­schleppen müssen. Also habe ich etwas gebastelt: Das JP ­Prone 5’0 Board mit 39 Litern Volumen gehört schon seit zwei Jahren zu meinem Reise-Quiver. Wie sich schnell he­raus­stellte, sind 39 Liter für den Einstieg ins Wingfoilen extrem wenig. Mit einem Volumenboard, je nach Körpergewicht mit deutlich über 100 Litern, wird man sich als Anfänger das Leben deutlich erleichtern. Ich habe trotzdem den harten Weg gewählt. Da 39 Liter nicht genug natürlichen Auftrieb liefern, um mein Körpergewicht von 78 Kilogramm zu tragen, muss ich das Board unter Was­ser drücken und quasi schwimmend starten. Ohne Fußschlaufen ist das extrem schwierig, deshalb habe ich nachträglich Inserts für zwei Fußschlaufen in das Board einlaminiert.

Mein Foil kommt von Neilpryde. Das Glide Surf Large verfügt über einen Frontflügel mit 1.600 Quadratzenti­me­tern. Da man beim Wingfoilen mit einer sehr niedrigen Geschwindig­keit aus dem Wasser starten muss, ist ein großer Flügel mit viel Auftrieb wich­tig, um möglichst früh ins Foilen zu gelangen. Praktisch an dem Set-up für mich ist, dass ich die Heckflügel tau­schen kann. Wenn ich den kleinen Heckflügel montiere, kann ich das Foil zum Wingen in größeren Wellen und auch zum Kiten benutzen. Zu den Flügeln nutze ich einen 75 Zentimeter langen Mast.

Dazu kommt der Wing. Ich nutze den Crosswing von Cabrinha. In der Standardgröße von vier Quadrat­me­tern funktioniert der Wing in einem relativ großen Windbereich. Der Flü­­gel ist komplett aufblasbar und verfügt, ähnlich wie das Foil, über ein dickeres Profil, um auch im unteren Windbereich genug Vortrieb zu erzeugen. Abhängig von der Körpergröße und Windstärke haben unterschiedli­che Wing-Größen Vor- und Nachteile: Ein klei­nerer Wing ist am Anfang ein­fa­cher zu steuern und handlicher, außerdem ist die Gefahr geringer, mit den Tips an der Was­ser­ober­fläche hängen zu blei­ben. Ein grö­ße­rer Wing pro­duziert dafür mehr Vortrieb, was gerade bei wenig Wind den Start erleichtert. Mit ein wenig Er­fahrung kommt man aber im Vergleich zum Kiten mit erstaunlich wenig Material zurecht. Ich nutze meinen vier Quadratmeter großen Wing mittlerweile von 13 bis 30 Knoten.

Erster Knackpunkt: der Wasserstart

Es gibt mehrere Möglichkeiten, um mit dem Foilwing im Wasser zu starten. Welche Variante die richtige ist, hängt maßgeblich von der Größe und dem Volumen des Boards ab. Während ein ausgewachsener Mann auf einem 110- oder sogar 140-Liter-­Board – genau wie auf einem SUP – stehen kann, ohne dass sich das Board auf dem Wasser vorwärtsbewegt, gehen kleine Boards bei Stillstand unter. Sie erzeugen erst dann genug Auftrieb, um darauf zu stehen, wenn das Foil unter der Wasseroberfläche angeströmt wird. Ein größeres Board in Kombination mit großem Frontflügel mit 1.600 bis 2.000 Quadratzentime­tern Fläche ist für Einsteiger also die einfachste Option. Um das Gleichgewicht einfacher halten zu können, ist ein Flachwasser-Spot mit ausreichender Wassertiefe und möglichst wenig Kabbelwellen ideal. Das Board schaukelt sich weniger auf und lässt sich zudem einfacher beschleunigen.

Stehend zu starten ist die einfachste Variante. Man klettert auf das Board und stellt sich längs in Surfboard-Position mit den Füßen auf das Board. Der Wing treibt an der Leash befestigt leeseitig im Wasser. Sobald man sicher steht, kann man den Wing aufnehmen. Zunächst greift man ihn mit der vorderen Hand in der Mitte der Leading Edge an der Griffschlaufe. Der Wing stellt sich durch den Wind horizontal und weht nach Lee aus. Die vordere Hand wird schräg leicht über dem Kopf gehalten, dann greift die hintere Hand eine der mittleren Griffschlaufen an der Mittel-Strut. Sofort spürt man, wie der Wing Zug aufbaut. Über den Anstellwinkel lässt sich der Zug genau wie bei einem Kite regulieren. Die Steuerung des Wings kann man bereits als Trockenübung an Land ausprobieren. Wer möchte, kann auch auf dem Skateboard die ersten Fahrversuche unternehmen. Dafür reicht wenig Wind schon aus. Der Wing beschleunigt Foiler und Board zunächst auf Raumwindkurs. Sobald die Geschwindigkeit ausreicht, spürt man, wie das Foil von unten Auftrieb erzeugt und das Board nach oben liftet.

Wing-Einsteiger ohne nennenswerte SUP-Erfahrung haben anfangs oft Probleme, im Kabbelwasser das Gleich­gewicht stehend auf dem Board zu halten. Sobald das Board Fahrt aufnimmt, stabilisiert es sich. Zum Start kann man sich auch auf das Board knien. Durch den niedri­geren Körperschwerpunkt lässt sich das Board besser ausbalancieren. Sobald das System etwas beschleunigt, wird das vordere Bein mit angewinkeltem Knie aufgestellt. Anschließend kann man einfach aufstehen.

Für die ersten Versuche empfehle ich, die Standposition etwas weiter vorne auf dem Board zu wählen. Damit verhindert man, dass das Board sofort aufsteigt und anfoilt. Es gilt zunächst, ein Gefühl für die Steuerung zu entwickeln und stabil auf dem Board in Verdrängerfahrt vorwärts­zu­kom­men. Sobald man sich sicher genug fühlt, verlagert man die Standposition entlang der Board-Längsachse zentimeterweise nach hinten. Dadurch wird die Nose entlastet und das Board kann leichter anfoilen.

Dümpeln oder Druck: der Windbereich

Meine ersten Versuche habe ich bei 18 Knoten Wind auf Flachwasser gestartet. Das war zunächst arg frus­trie­rend, da ich mit meinem Mini-­Board beim Start bis zum Bauch im Wasser trieb. Der Wing musste mich also samt Board erst mal an die Wasseroberfläche hieven, damit es beschleunigen konnte, um ins Foilen zu gelangen. Mit einem großen Board macht man sich das Leben deutlich leichter, da es bereits an der Wasser­ober­flä­che ist. Nach etlichen Ver­su­­chen habe ich es dann tatsäch­lich bei der ersten Session ge­schafft, aus dem Wasser zu starten, und bekam einen kräftigen Motivations­schub. Für die nächsten Versuche wartete ich auf stärkeren Wind. Ab 25 Knoten gelingt der Wasserstart mit einem kleinen Board ungleich ein­fa­cher. Man hält den Wing über sich und powert ihn an, indem man die hintere Hand etwas zu sich heranzieht und den vorderen Arm möglichst gestreckt hält. Sofort erzeugt der Wing Lift und zieht Körper und Board nach oben. Sobald es etwas beschleunigt, stabilisiert es sich und man kann sich aufs Anfoilen konzentrieren.

In späteren Sessions versuchte ich dann, den Windbereich nach unten auszureizen. Mit ein wenig Übung kommt man auch mit einem klei­neren Board unter 18 Knoten ins Foilen. Generell gilt jedoch: Je weniger Wind, desto mehr Volumen sollte das Board haben. Auf einem 110-Liter-­Board mit einem 2.000er-Flügel und Vier-Quadratmeter-Wing konnte ich bereits bei 13 Knoten foilen. Das Pro­b­lem dabei: Größere Boards pro­du­zieren einen größeren Gleitwiderstand und verdrängen mehr Wasser. Reicht der Zug im Wing nicht aus, kann man etwas nachhelfen, indem man das Board „anpumpt“. Dazu geht man in die Knie und drückt kräftig und schnell mit dem hinteren Fuß aufs Tail, während man das vordere Bein entlastet. Anschließend wird das vordere Bein be- und das hintere entlastet. Die Be­wegung sollte möglichst flüssig gelingen, sodass man bei Bedarf mehrere Pumpbewegungen aneinanderreihen kann.

Damit Wing­­foi­len nicht zu sehr auf die Arme geht, heißt es wie beim Kiten: Arme lang!

Arme lang – gilt auch beim Wingfoilen

Bevor man sich an Richtungswech­sel herantastet, gilt es, bei der Geradeausfahrt die richtige Körperhaltung und den richtigen Winkel zum Wind zu finden, um möglichst kraftsparend unterwegs zu sein. Beim Wingfoilen hält man den Zug komplett mit den Armen, sodass bei falscher Haltung schnell die Kraft ausgeht. Das Kraftraubendste ist der Start. Hat man das Anfoilen gemeistert, nimmt der Strömungswiderstand des Boards enorm ab, sodass das eigentliche Foi­len weitaus weniger Kraft erfor­dert. Wie beim Windsurfen sollte man da­bei die Arme möglichst ge­streckt hal­ten. Wer die Arme ständig an­win­kelt, ver­pulvert wertvolle Kraft. Ich greife den Wing zum Start an der ers­ten und der dritten Griff­schlaufe und wechsle danach zum Foilen meine Griff­position weiter nach hinten auf die zweite und vierte Schlaufe. Wel­che Positionen sich am besten anfühlen, muss man mit der Zeit selbst aus­pro­bieren. Das unter­scheidet sich von Hersteller zu Hersteller und hängt auch von der Größe und der Wind­stärke ab. Um Kraft zu sparen, sollte man lieber längere Schläge mit einem moderaten Amwind­winkel fah­ren, anstatt zu versuchen, maximal Höhe zu laufen. Mit dem richtigen Amwindwinkel lässt sich der Wing mit beiden Armen ­ausgestreckt halten. Wer maximal Höhe laufen will, muss den hinteren Arm anwinkeln.

Erfahrung mit Kite-Foil hilft

Für Kiter mit Foil-Erfahrung fühlt sich das Foilen sehr intuitiv an, besonders auf einem kleineren Board. Wer noch keine Foil-Erfahrung hat, kann Wingfoilen natürlich trotzdem ausprobieren. Nur sollte man eben mehr Zeit einplanen, weil man nicht nur lernen muss, den Wing, sondern auch das Foil zu kontrollieren. Unbe­dingt mitbringen sollte man Ba­sis­kenntnisse auf einem Directional-­Board. Die Bewegungsabläufe bei Fuß­wech­seln, Wenden und Halsen sind relativ ähnlich. Um Sicherheit bei den Fußwechseln zu erlangen, habe ich das Board zunächst mit dem vorderen Fuß nach unten gedrückt und etwas Tempo herausgenommen, sodass das Board die Wasseroberflä­che berührt. So gelingen Fußwechsel, ohne bei Belastungsfehlern in der Luft gleich einen Abflug zu machen. Ähnlich wie beim Kiten lernt man recht schnell, wie man durch die Steuerung des Wings mehr Stabilität bei der Richtungsänderung erlangt.

Foilen in der Welle eröffnet ein ganz neues Spielfeld – ob mit Wing oder ohne

Faszination: Foilen in der Welle

Hat man die Basics auf Flachwasser gemeistert, kann man sich an kleine Wellen herantasten. Das macht für mich die große Faszination beim Wingfoilen aus. Das Abreiten von Windwellen oder kleinem Grund­swell lässt sich sofort erfahren. Je nach Wel­len sind mehrere Hundert Meter lange Ritte möglich. Dafür müssen die Wellen nicht einmal besonders groß sein. Die Freiheit, die man dabei spürt, ist fantastisch, da der Wing von allein mitschwebt und nur mit einer Hand geführt werden muss. Im Vergleich zum Wave-Foilen mit einem Kite lässt sich der Wing komplett ausschalten, indem man ihn mit einer Hand an der Leading Edge greift und er horizontal auswehen kann. Gerade bei auflandigem Wind ist es ein großer Vorteil, dass man sich keine Gedanken um die Kite-­Position oder durchhängende Leinen machen muss. Der Wing fliegt ganz brav mit und ist sofort wieder einsatzbereit, sobald man ihn wieder zum Wind anstellt. Entscheidet man sich für brechende Wellen, wird diese Gleitphase auf dem Foil wesent­lich anspruchsvoller, da mit steigender Geschwindigkeit der Lift zunimmt. Das muss man mit viel Druck über das vordere Bein kompensieren. ­Zudem muss man bei engen Turns da­rauf achten, dass der Flügel nicht aus dem Wasser kommt. Sonst reißt die Strömung ab und man wird unweigerlich von der Welle gewaschen. Wie auch beim Kite- oder Wind­surf-Foilen empfiehlt es sich, in der Welle einen längeren Mast zu benutzen. Dadurch hat man etwas mehr Spielraum zwischen Flügel und Board und somit mehr Zeit, die „Flughöhe“ in und ­zwischen den Wellen zu regulieren. Gerade beim Herauskreuzen gegen die Wellen ist das ein großer Vorteil.

Wichtig: richtig stürzen

Stürze gehörten während der ersten Wingfoil-Sessions dazu. Insbeson­de­re durch das große Foil entstehen dabei im Vergleich zum normalen Kiten andere Risiken. Es ist auf jeden Fall ratsam, bei einem Sturz den Wing festzuhalten. So kann euch der Wing während des Sturzes weiter vom Board wegziehen und ihr verringert das Risiko, schmerzhaften Kontakt mit dem Foil zu erleiden. Außerdem landet der Wing dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht auf dem Foil. Da das Board in der Regel auf die Seite klappt, steht auch das Foil mit einem Tip nach oben zeigend im Wasser – diese Tips sind spitz und das Foil ist an der Abrisskante scharf. Deshalb solltet ihr unbedingt Helm, Prall­schutzweste und Neoprenschuhe tragen. Solltet ihr mit höherer Geschwindigkeit unkontrolliert stürzen und den Wing aus der Hand verlieren, schützt mit den Armen euren Hals und Kopf. Es kann passieren, dass das Foil samt Board auch ohne Pilot noch einige Meter gleitet, bevor es zum Stillstand kommt. Solch ein Geisterschiff will man nicht an den Kopf bekommen.

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