Solange Reisen auf die Südhalbkugel noch nicht wieder möglich sind, bleiben Wave-Junkies nur die heimischen Reviere, um ihre Gier nach Turns und Sprays zu stillen. Und die sind näher, als man glaubt: Deutschland und Dänemark bieten nämlich – die richtigen Bedingungen vorausgesetzt – gute Voraussetzungen für einen ordentlichen Wellenrausch. Man muss nur wissen, wann es sich lohnt, welche Spots anzusteuern. Ausschlaggebender Faktor: die Windrichtung. Manchmal entscheiden ein paar Grad Unterschied bei der Windrichtung, ob man happy vollgedröhnt oder völlig ernüchtert vom Wasser kommt. Einer, der das weiß, ist Jörgen Vogt, Geschäftsführer der Global Kitesports Association (GKA). Im Gespräch mit KITE verrät Jörgen, welche Spots bei welchen Windrichtungen die besten Chancen auf die maximale Dosis versprechen.Text & Fotos: Axel Reese

Jörgen Vogt, Geschäftsführer der GKA, beim Kiten

Jörgen, vor zwei Tagen waren wir gemeinsam in Dahme auf dem Wasser. 35 Knoten Wind aus etwa 30 Grad haben hohe Wellenberge auf der Ostsee aufgetürmt. Wellen-Faces von gut zwei Metern sind unter Land auf dem Strand detoniert und du schienst dich sichtlich wohlgefühlt zu haben. Warum mussten wir genau dort rausgehen?
Dahme hatte die größte Chance auf genau Sideshore, während die meis­ten anderen Spots bei Wind aus Nordnordost nur kleine Wellen zu bieten hatten – Bedingungen also, in denen man beim Wellenabreiten den Kite nicht „stellen“ kann. Alternativ gab es an diesem Tag aus meiner Sicht nur diesen Küstenstreifen um Dahme herum, also von Rosenfelde runter nach Dahmeshöved sowie die Ecke um Prora auf Rügen. Damp eventuell auch ein Stück weit, ja, aber die Wellen sind bei dieser Windrichtung dort nicht optimal.

„Nicht optimal“ fand ich wie­derum vorgestern die Wellen in Dahme. Das Hochwasser veränderte den Spot, oder? Die abzureitenden Wellen sind direkt auf den Strand gebrochen. Da braucht man schon Nerven aus Stahl und Selbstvertrauen. Wäre der Wind ein paar Grad mehr aus Ost nicht besser?
Ja, bei Wind aus 45 Grad, also schräg auflandig, ist Dahme cleaner, dann allerdings auch kleiner. Dafür hat man mehr Platz zwischen den Wellen, die weiter draußen brechen. Die Turns zieht man ebenfalls weiter draußen, weshalb dann auch das Seegras weniger stört als bei den Turns direkt vorm Strand. Dahme ist mein Tipp bei Nordnordost bis Ost und funktioniert auch noch mit einem Hauch Süd drin. Die Wellen sind dann bis eineinhalb Meter hoch und haben einen für die Ostsee guten Punch. Ach, und noch etwas zur Wellenhöhe an der Ostsee: Die Wellengröße wird hier nicht in Periode angegeben, sondern hängt von der Windstärke ab. Bei 45 Grad Windrich­tung bietet der Spot auch für Strapless Freestyle ein gutes Wellenbild und ich mache gern Down­win­der runter nach Dahmeshöved. Kurz davor gibt es sogar einen Bereich mit circa einen Meter höheren Wellen, aber man muss sehr aktiv mit dem Kite umgehen, weil unter Land wegen der Steilküste weniger Wind weht. Der Downwinder geht dann weiter und ich mache einen Bogen um die Windsurfer, die am Point draußen sind, damit man sich nicht ins Gehege kommt.

Direkt unterhalb von Dahmeshöved gibt’s doch diese kleine Bucht mit lang laufenden Wellen, die vom Ex-Core-Chef Bernie Hiss sehr gern gerippt werden.
Die langen Wellen in der Bucht von Dahmeshöved bei 45 Grad Wind sind nett für etwas längere S-Kurven. Ich persönlich mag die Wellen dort erst dann, wenn der Wind aus 50 Grad kommt, wodurch die Wellen dort dann etwas steiler werden. Aber das ist Geschmackssache. Noch weiter Downwind kommt dann der In-Spot Kellenhusen. Als „Sweet Spot“ habe ich den noch vor einigen Jahren betitelt, denn dort war kaum jemand auf dem Wasser. Mittlerweile ist es allerdings häufig sehr voll. Der Spot ist super, hat schöne Wellen und ich würde immer empfehlen, 100 Meter nach Süden abzufallen, weil die Wellen dort noch besser laufen und weniger Verkehr auf dem Wasser ist. Der Downwinder geht dann bis nach Klostersee runter. Der Spot ist für Welleneinsteiger gut, aber ansonsten boring. Und so langweilig geht es dann die gesamte Küste weiter hinunter bis nach Pelzerhaken. Dann gibt es nur noch den Spot am Jachthafen von Grömitz, da hat man mit Glück vernünftige Wellen bei ­Nordost.

Und welche Spots lohnen sich bei Ost und Südost?
Südost ist in Bezug auf Wellen ei­gentlich ein No-Go, außer Kegnæs auf der Seeseite. Da muss es aber richtig ballern. Der beste Spot ist Grenå in Dänemark, der aber tricky zu finden ist und denselben Fahrtaufwand wie für Klitmøller bedeutet. Aber schöne Wellen gibt es dort.

Ergiebiger wird die Auswahl an Wave­-­­Spots bei Südwind. Wo ist dann dein „place to shred“?
Innerhalb Deutschlands ist es definitiv Sylt. Mit meinem Kumpel Jens bin ich vor vier Wochen mit einer einmotorigen Maschine hingeflogen. 30 Knoten aus Süd erwarteten uns. Noch auf dem Rollfeld des Flughafens Westerland haben wir uns in die Neos geschält, sind mit dem Taxi zum K4 gefahren, haben dem Taxifahrer die Pumpe gegeben und ihn für drei Stunden später zur „Sturmhaube“ in Kampen bestellt. Dann hat er uns zurück zum Flughafen gefahren, wir sind durch den Check-in-Bereich gegangen, haben uns wieder auf dem Rollfeld umgezogen und sind zurück nach Hamburg geflogen.

Das ist mal konsequent!
Ja, genauso wie die Bedingungen dort. Bei Südwind geht’s wie gesagt vom K4 runter nach Westerland. Die Wellen laufen druckvoll und haben Punch. Aber man sollte auf die Buhnen achten, unter Land ist der Shore­break nicht ohne! Das sind amtliche Wellen und ich bin immer mal wieder versucht, einen Barrel Ride im Shorebreak anzusetzen, muss aber zugeben, dass das selten gut ausging.

Was hältst du von St. Peter-Ording? Das ist für viele ja der Main-Spot zum Wave-Kiten.
SPO ist bei Süd die kleinere Variante für einen Downwinder. Man fährt zum Hochwasser hin oder direkt nach Hochwasser von Böhl runter nach Dorf. Die Wellen sind aber nicht so geordnet auf dieser Strecke. Erst Richtung Ordinger Hauptstrand werden sie geordneter, aber der Süd­wind kommt dann etwas böiger, weil er teilweise über Land geht. Die Wellen sind klein und man muss schon sehr aktiv fahren, damit es noch nach Wellenreiten aussieht. Man soll­te auf das ablaufende Wasser ach­ten, wenn die Strömungsrich­tung der Windrichtung entgegensteht. Wobei das bei einem Downwinder nicht ganz so entscheidend ist. Das Wellenbild ist innerhalb der zwei Stunden nach Hochwasser immer am cleansten.

Hast du nicht noch einen Südwind-Spot vergessen?
Aber ja, ganz wichtig: Der Südwind-­Spot überhaupt ist Agger – an der langen Mole! Am allerbesten ist es, wenn ein Tiefdruckgebiet durchgerollt ist und bereits das nächste Tief heranrauscht. Der Wind sollte einen ganz leichten Schlag Südsüdost mit drinhaben, dann bekommt man dort ganz cleane, fette Wellen. Also etwas ablandiger Wind von links und du brauchst nirgendwo mehr hinzufliegen! Ich bin schon mal nachts aus Hamburg losgefahren, um bei Sauwetter allein morgens um sieben Uhr am Strand zu stehen. Der Wind hielt zwar nur für vielleicht zwei Stunden, aber es lohnte sich, denn ein guter Agger-Tag schlägt, abgesehen von Irland, in Nordeuropa alle anderen Spots. Dafür nimmt man auch den Re-gen in Kauf, der meistens mit Süd- oder Südwestwind einhergeht. Die Wellen sind höher, brechen eher hohl und haben mehr Punch als in Hanst-holm. Agger erinnert mich an guten Tagen an so manchen guten Atlantik-Spot.

Was sind deine besten Wave-Tipps für Südwestwind?
Wir haben eben über Sylt gesprochen. Klar, auf Sylt kann man bei Südwest den Downwinder noch länger, also höher in den Norden der Insel rauf, fahren. Aber ganz ehrlich, bevor ich bei Südwest nach Sylt fahre, geht’s doch eher nach Nørre Vorupør. Hinter der Stummelmole laufen die Wellen am besten. Hier muss man aber auf die Wellenreiter achten, damit man denen nicht ins Gehege kommt. Die Frage ist: Willst du beim Kitesurfen vom Kite gezogen werden oder von der Welle geschoben werden? Ich surfe lieber, also muss die Welle Druck haben und mich schieben. Rømø schiebt bei Süd­west auch schon gut und klar geht es bei Südwest auch manchmal nach SPO, aber das ist kein Vergleich. Rømø ist ein klarer Südwest-Wave-Spot oder anders gesagt: Rømø ist das SPO mit besseren Wave-Bedingungen. Gleichwohl kommt Rømø aber nicht an Sylt ran, wenn es um die wirklich kraftvollen und steilen Wellen geht. Rømø macht dann Sinn, wenn man wenig Zeit hat und etwas Besseres haben möchte als SPO. Aber: Bevor ich nach Rømø fahre, fahre ich zehnmal lieber nach Nørre Vorupør.

Was ist mit Blåvand, Henne Strand, Vejers Strand?
Das sind einige schöne Strände, ja. Blåvand ist der meistüberschätzte Wave-Spot. Wenn man wirklich Wellen fahren möchte, dann kann man sich Blåvand sparen.

Alternativ geht bei Südwest an der Ostsee auch nicht viel, oder?
Vielleicht Dazendorf, wenn man ein Stück in Richtung Heiligenhafen ab­fällt, dort laufen etwas bessere Wellen. Aber für mich schließen sich Ostsee und Südwestwind eigentlich aus. Was allerdings nicht heißt, dass man nicht auch Spaß haben könnte. Dann konzentriere ich mich eher lieber auf Strapless Freestyle.

Fehlt noch die Windrichtung West: Wohin geht’s dann?
Hanstholm ist bei West und Nordwest ein Traum. Die Wellen laufen lang und man kann mehrere Turns auf der Welle ziehen. Nur den Kite dort zu starten ist ein bisschen tricky: Man sollte kein Anfänger sein und genau wissen, was man tut, denn es ist nicht ganz ungefährlich. Ich mag den Spot schon sehr, gerade bei West. Die Fahrt hinauf lohnt sich, wenn ein Tief das andere jagt, dann gibt es auch fette Wellen. Aber: Bei der Windrichtung spürt man die neuen Windräder, doch das leichte Ruckeln im Kite nehme ich für die Wellenqualität gerne in Kauf. Wenn man lieber mit mehr Druck im Kite fahren will, dann muss man warten, bis der Wind auf Nordwest dreht. Übrigens: In Hanstholm hat sich ein neuer Spot links von der Fischfabrik aufgetan – mit fetten Wellen, aber es fährt dort bislang kaum jemand. Bei Südwest bläst es sideshore, aber man muss an der Luvmole aufpassen, weil dort weniger Wind ist. Für die Downwinder bei West starte ich genau dort. Was man auch nicht unterschätzen sollte: Klitrosen.

Wo ist das denn?
Ja, da fährt nie jemand. Klitrosen liegt einen Kilometer nördlich von Klit­møller, bietet viel Shorebreak und teilweise hohe – zum Teil sogar hohle – Wellen. Und da wir gerade über Klitmøller sprechen: Bei Südwest funktioniert das Muschelriff, aber das ist kein Spot, für den ich extra dort hinauffahren würde, zumal dort viele Windsurfer auf dem Wasser sind. Dann lieber gleich nach Klitrosen.

So, last but no least: Nordwest.
Auf jeden Fall auch Hanstholm! Und natürlich die östlicher gelegenen Spots Hamborg und Vigsø. Auf der Ostseeseite geht dann auch Weissenhaus. Oder bei Nordwest und West kann man auch mal die ostfriesischen Inseln auschecken, zum Beispiel Norderney.

Apropos Hanstholm: Ich habe da mal so eine Geschichte über dich und diverse Downwinder gehört. Du wärst abends von Hamburg nach Hanst­holm hochgeschossen, hättest ein paar Stunden im Bus gepennt –und wie ging es dann weiter?
Aufstehen, Neo an und auf zum ersten Downwinder von der Fischfabrik in Hanstholm runter nach Vigsø. Um nicht mutterseelenallein in Vigsø zu stranden und auf gut Glück per Anhalter zurückfahren zu müssen, bin ich zur Seemannsmission in Hanstholm gegangen und habe gefragt, ob sie mir ein Taxi nach Vigsø rufen könnten, das dann aus Thisted kam. Ich habe die Taxifahrerin gefragt, ob sie mich nach meinen Downwindern den Tag über in Vigsø einsammeln und wieder nach Hanstholm bringen könnte und was das kosten würde. Wir einigten uns auf 120 Euro und sie fuhr mich fünfmal. Außerdem habe ich ihr mein Portemonnaie ge­geben und sie besorgte für mich zwischendurch einen heißen Kaffee und einen Schokoriegel. Wie eine für­sorgliche Mama kümmerte sie sich den ganzen Tag lang um mich. Da war ein Windsurfer, der meinte nur: „Normal ist das aber nicht.“ Nach­dem ich den ganzen Tag lang nur Downwinder von Hanstholm nach Vigsø gemacht habe, bin ich am Abend wieder zurück nach Hamburg ge­fahren. Das war cool. Zehn Stunden Autofahrt, aber ich hatte optimale Bedingungen auf dem Wasser.

Konsequente Aktion! Auf deiner persönlichen Wave-Liste fehlt mir aber noch ein Hotspot.
Hvide Sande an der Mole bei Nordwestwind, da hat man Wind von rechts. Mein Tipp ist die Location etwa 600 Meter weiter südlich, etwa in Höhe vom Seezeichen. Die Welle läuft dort viel kraftvoller, höher und eignet sich besser zum Abreiten. Ich bin dort bislang immer allein, während an der Mole viele Kiter auf dem Wasser sind. Der Spot funktioniert bei Nord und Nordwest. Nord ist schon fast side-offshore. Darf ich noch einen allgemeinen Kommentar über die Wave-Spots in Norddeutschland und Dänemark loswerden?

Klar, schieß los!
Die Spots in Dänemark sind grundsätzlich allesamt besser als das, was du in Norddeutschland findest. Bei unseren nördlichen Nachbarn ist mehr Kraft und mehr Anlauf für die Wellen vorhanden.

Was ist Deine Meinung zur Sonneninsel Fehmarn?
Der einzige Spot, wo man vor Fehmarn vernünftige Wellen finden könnte, ist Westermarkelsdorf. Allerdings habe ich selbst in den letzten 30 Jahren nirgendwo vor Fehmarn wirkliche Wavebedingungen gesehen, obwohl ich früher sehr häufig dort war. Wir haben in Deutschland – abgesehen von Weissenhaus, Rügen, Sylt und der ein oder anderen ostfriesischen Insel – keine Wave-Spots, die man ernsthaft als solche bezeichnen könnte. Dahme und die Nachbar-Spots an guten Tagen sind etwas „für den Haus­gebrauch“ und machen Spaß – nur darauf kommt es ja an. Man kann ja auch in kleinen Wellen Tricks üben und tolle Tage haben wie eben auch vor Fehmarn. Aber da drängt sich nicht zwingend ein Wave-Board auf. Aus meiner Sicht sind das vornehmlich Wave-Spots zum Wingfoilen – ein anderer, aber auch ein toller Sport.

Und die ostdeutsche Ostseeküste?
Ja, es gibt ein paar Spots, die insbesondere bei Nordwest gute Wellen in der Qualität von Dahme in der Lübecker Bucht liefern. Für mich ist aber Rügen bei Nordost der beste Spot in Mecklenburg-Vorpommern. Wellen wie dort findest du sonst nir­­gend­s an der Ostsee. Das, was da anrollt, kann man schon ernsthaft als Welle bezeichnen. Ich habe die ganze Küste abgefahren und nette Spots entdeckt, aber wirklich sehr gute Wellen habe ich nur bei starkem Nordostwind an der Ostküste von Rügen gefunden.

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