Pelzerhaken ist als Hotspot bekannt – allerdings mehr unter Kitern als unter Virologen. Infektionsgefahr besteht hier vor allem durch das Kite-Virus. Infektionsrate bei östlichen Winden: extrem hoch. Das liegt einerseits an der schnellen Erreichbarkeit der Lübecker Bucht, andererseits am großen Flachwasserrevier. Wem es in „Pelze“ zu voll wird, der findet keine zwei Kilometer weiter nördlich mit Rettin einen guten und weniger bekannten Ausweichspot und mehr Platz auf dem Wasser.Text & Fotos: Axel Reese

Kiter am Strand von Pelzerhaken

Hotspot: Pelzerhaken

Weniger als eine Stunde braucht man, wenn man im Hamburger Os­­ten wohnt und sein Surfmobil über die A1 in Richtung Neustadt in Hol­stein tritt, genauer gesagt nach Pel­zerhaken. Die kur­ze Anreise macht „Pelze“, wie die Locals und ­Insider ihren Spot liebevoll nennen, hoch attraktiv für kite­­wütige Großstädter, die auch gern mal für eine kurze Session nach ­Feierabend hierher an die Ostsee fah­ren. Ent­spre­chend voll wird es al­so häufig in Pelzerhaken. Das muss man mögen – und ganz offen­kun­dig mögen das viele. Das liegt am Kite-­Revier. Bevor man sich auf dem Wasser austoben kann, gilt es, den Start an dem schmalen Strand zu meistern. An guten Tagen liegen die Kites dort eng gestapelt wie Kartoffelchips in einer Pappröhre. Gängiges und gleichzeitig sicheres Startproze­dere: Der Kiter läuft ins Wasser und nur der Starthelfer bleibt mit dem Kite in der Hand am Strand. Wer den Kite-­Launch nicht sicher beherrscht, gerät hier schnell in Schwierigkeiten. „Das ist zum Teil echt problematisch“, weiß Sven Heinze, Inhaber der Kiteschule „Sail and Surf Pelzerhaken“. Wie jede Schule versucht seine Crew, ein Durcheinander in der Launching-Area zu verhindern und potenzielle Bruchpiloten schon vor dem Start freundlich davor zu bewahren, einmal längs über den Strand zu fliegen. Ein paar Unbelehrbare sind natürlich immer dabei, gerade wenn es voll ist. Dazu gilt es, im Bereich der schmalen Strand­über­gänge besondere Rücksicht auf andere Wassersportler zu nehmen, denn auch zahlreiche Windsurfer und Stand-up Paddler schleppen ihr Geraffel hier ins salzig-kühle Nass. Damit sich Kiter und Windsurfer weniger ins Gehege kommen, gibt es eine Zo­nen-­Trennung: links den Strand entlang die Kiter, rechts die Windsurfer.

Der Kitespot von Pelzerhaken an der Ostsee
Links: Der Strand in „Pelze“ bietet w­enig Platz für den Kite-Launch

Im Wasser dann hat man 200 Meter bis zur äußeren Sandbank Platz, um auch neben dem Board stehend nicht unterzugehen. Das wiederum macht den Spot bei Ein- und Aufsteigern beliebt. Ebenso wird hier viel geschult. Wer noch nicht sicher Höhe halten kann, freut sich über das Sicher­heits­plus, das den Spot auch bei Win­ter-Ki­tern beliebt macht. Das Wasser ist je nach Windstärke im Steh­bereich glatt bis kabbelig. Dreht der Wind auf, können sich an der Sandbank kleinere Wellen aus der Ostsee schälen, die sich sogar zum Abreiten mit dem Directional lohnen können. Die besten Wellen gibt es bei leicht auflandigem und starkem Wind. Für grö­ße­re Wellen darf der Wind allerdings nicht weiter als einen Hauch Nord­ost hinaufdre­hen. Je auflandi­ger der Wind, desto fetter ist die Wind­see. Die besten Wind­rich­tun­gen für Pelzerhaken sind Südwest und Süd­ost bis Ost. Wer sich an der Ost­see auskennt, weiß um den Mangel an geeigneten Südwest-Spots. „Süd­liche Winde kommen meist schwä­cher als vorhergesagt an“, erklärt Sven. „Südwest kommt perfekt sideshore. Dann ist das Wasser glatt und ideal zum Twintip-Fahren und Freestylen geeignet“, fügt er hinzu. Südwestwind entsteht oft im Herbst, stabile Ostwindlagen kann man dagegen ­regelmäßig im Mai ein­planen. Bei Ostwind und Sonne kommt, besonders im Frühsommer der Fall, häufig Thermik dazu. Dann kann man getrost ein paar Knoten auf den Forecast draufrechnen. Kleiner Wermutstropfen: Bei strammen Ostwindlagen wird das Wasser ans Westufer der Lübecker Bucht gedrückt. Dadurch wird der Spot deutlich tiefer und der Stehbereich kleiner. Überraschend, weil man mit der Windrichtung hier eigentlich nicht rechnen würde: „Bei Westnordwest kann an der Spitze beim Leuchtturm trotz leicht ablandigen Winds noch relativ entspannt gestartet und gekitet werden“, so der Local-Experte.

Abseits vom Wasser trägt die gute Infrastruktur ihren Teil zur Beliebtheit von Pelzerhaken bei. Während unseres Besuchs herrscht an der Station von „Sail and Surf Pelzerha-ken“ Hochbetrieb. Beim Material kann Sta-tionsleiter Sven aus dem Vollen schöpfen, denn Mitinhaber der -Sta-ti-on ist Branchen-Urgestein Bossi Güven, der gleichzeitig auch Importeur für Naish und Prolimit ist und die Station dementsprechend um-fang-reich mit dem neuesten Equipment ausgestattet hat. Dazu betreibt er die angrenzende „Kailua Lodge“, ein hawaiianisch angehauchtes Feriendorf mit einzelnen Apartmenthäusern, die mit außergewöhnlichem Charme eingerichtet sind und vor ein paar Jahren nagelneu nur wenige Meter von der Wasserkante gebaut wurden. Die Lodge ist damit natürlich perfekt für Wassersportler ge-eig-net. Wer es etwas einfacher mag, findet ansonsten in Pelzerhaken etliche Ferienwohnungen. Ebenso beliebt ist der große Wohnmobilstellplatz gleich hinter dem Parkplatz. „Die -öffentlichen Toiletten sind in der Regel supersauber und es gibt sogar Warmwasserduschen“, verrät Sven. Dazu findet man in der unmittelbaren Um-gebung verschiedene Lokale für den Snack zwischendurch oder um den großen Hunger nach der Session zu stillen. 

In Rettin mischt sich Kabbelwasser mit kleinen Wellen. Sebastian „Buzzy“ Witzleben lässt sich von der Holperpiste nicht vom Freestylen abhalten

Alternative für Insider: Rettin

Wer wenige Autominuten mehr investiert, gelangt ins zwei Kilometer nördlich gelegene Rettin. Die Fahrt lohnt sich, denn hier sind die Bedingungen unter Umständen sogar besser als in Pelzerhaken. Eingeweihte Kiter fahren an den fetten Tagen di­rekt nach Rettin, weil man davon ausge­hen kann, dass in „Pelze“ die Hölle los sein wird. Und Rettin ist mehr als nur ein Ausweichspot.

Bei unserem ersten Besuch treffen wir ein paar junge Kiter aus Hamburg. „Pelze ist immer so voll, da sind wir heute zum ersten Mal hierher gefahren. Wir sind begeistert, traumhafte Bedingungen waren das gerade!“, strahlen die Jungs nach ihrer Session zurück am Parkplatz, der mehr eine Wiese ist und auf dem es sich nach der Session noch vortrefflich am Camper chillen lässt. Der Nordostwind hat feine Side­shore-Be­dingungen produziert: Wind von links und auf den ersten 150 Metern türmen sich kleine Wellen auf. Zwar laufen die ungeordnet und sind dementsprechend schwierig abzurei­ten – dazu fehlt es ihnen an Länge und Struktur –, dennoch ist das Kiten hier spaßig. Wer Kabbelwasser nicht scheut, freut sich über das ungleich größere Platzangebot auf dem Wasser verglichen mit Pelzerhaken.

Ab circa fünf Beaufort aufwärts findet man an der äußeren Sandbank auf Höhe des Bootsfelds ein paar größe­re Wellen, die nur kurz über die Sandbank brechen, sich aber dafür durchaus zum Abreiten anbieten. „Die können sogar ganz ordentlich werden und in etwas weiteren Ab­stän­­den anrollen“, weiß der Kellenhusener Local Buzzy Witzleben. Von Kellenhusen bis Pelzerhaken sind es keine 20 Kilometer Luftlinie. Sicherlich können die Wellen in Rettin an den wirklich guten Tagen nicht mit bekannten Wave-­Spots wie Dahme oder eben Kellenhusen mithalten, da­für stellen sie Wave-Einsteiger nicht vor unlösbare Herausforde­run­gen. Wer es trotzdem vorsichtig angehen lassen möchte, dreht vor der Sandbank um und probiert sich in den Miniwellen davor. Ebenfalls prak­tisch für Einsteiger: Es gibt kaum Shorebreak und in Lee der Stein­buhnen kommt man einfach ins Wasser und wieder he­raus. Der Steh­be­reich in Ufernähe ist großzügig, wenn auch nicht riesig. Insgesamt eignet sich der Spot sowohl für Ein- und Aufsteiger als auch für erfahrene Kiter.

Starthelfer und Kiter am Strand von Rettin

„Der nordöstliche Wind kommt meis­tens in Ufernähe ein wenig stärker“, erzählt uns Sven Neils von der Surf­schule in Rettin. Gerade bei Nordost kann Rettin gegenüber Pelzerhaken glänzen. In „Pelze“ bläst der Wind dann unter Land schon ein paar Grad ablandig, während Rettin immer noch cleanen Side­­shore-Wind bekommt. Häufig zu beobachten: Wenn der Wind über den Tag side­shore weht, dreht er im Verlauf des Nachmittags gern ein paar Grad mehr auf Nord. Dadurch kann man bei der Nachmit­tags-­Ses­sion in Rettin tollen Wind haben, während der Wind in Pelzerhaken in Ufernähe böig poltert. Östliche Windrichtungen kommen für Rettin schräg auflandig. Einen thermischen Verstärkungseffekt kann man bei gutem Wetter gerade am Nachmittag auch hier einplanen. Wenn man Sven nach Nordwind fragt, fangen seine Augen an zu glänzen: „Side-­off mit Welle, das ist manchmal so gut – aber leider auch sehr, sehr selten“, schwärmt er.

Die Kite-Bedingungen sind denen in Pelzerhaken recht ähnlich, bloß ist es auf Wasser hier ein gutes Stück leerer. Sven sieht in „seinem“ Spot noch viel Potenzial: „Rettin bietet mit seinem großen Windfenster gute Bedingungen zum Kitesurfen und Windsurfen. Bei Südwind gibt es immerhin passable Bump-and-­jump-Be­dingungen und auch bei Südwest funktioniert der Spot!“ Dann weht der Wind sideshore von rechts und drückt das Wasser aus der Lübecker Bucht heraus, sodass es sehr flach wird. Wie so ziemlich überall an der Ostsee kommt der Wind aus Südwest aber auch in Rettin fast immer böiger als die anderen funktionierenden Windrichtungen, also Nordost über Ost bis Südwest. Südwestwindlagen treten insbesondere im Herbst auf. Mit mehr westlichem Einschlag wird der Wind dann nach und nach stärker side-off. Vorsicht ist bei Fronten geboten, dann dreht er oft auf ablandig. Entsprechend sind West und Nordwest hier nicht zu empfehlen. „Südost schockt hier eigentlich auch nicht mehr, denn der bläst voll auflandig mit Luvstau, sodass der Wind im Uferbereich nicht gut ankommt“, fügt Sven noch hinzu.

Auch in Rettin sind Kiter und Windsurfer räumlich voneinander getrennt. Deswegen sollte man vor dem Aufbauen die Windrichtung che­cken. Denn die Regel besagt, dass Windsurfer in Luv und die Kiter in Lee rausgehen. Dadurch sollen havarierte Kiter mit ihren langen Leinen nicht durch die Windsurfzone treiben. Die Regelung macht Sinn, nur ändert sich damit eben die Aufteilung der Zonen je nach Windrichtung. Wie überall gilt es zudem, die Badezone zu achten. Weder Kiter noch Windsurfer haben darin etwas zu suchen. Gerade im Sommer ist der Strand von vielen Badegästen frequentiert. Außerhalb der Saison kann man direkt vom großen Parkplatz am Campingplatz aus aufs Wasser, innerhalb der Saison ist der Zugang zum Spot an der Surfschule auf dem Campingplatz möglich.

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