Core Kiteboarding hat sich längst in der Spitze des deutschen Kite-­Markts festgesetzt. Firmengründer und bisheriger Eigentümer Bernd „Bernie“ Hiss hat das Unternehmen 18 Jahre lang ­aufgebaut und ge­lei­tet. Im April 2019 kam dann die Abschieds­meldung: Bernie hört auf – eine Ära geht zu Ende. Und Core? Will ganz normal weitermachen, nur eben ohne Bernie. Die Firma wurde von einem estnischen Outdoor-Unternehmen gekauft und zwei langjährige Angestellte übernahmen die Geschäftsführung.

Philip Schinnagel und Jochen Czwalina bilden die neue Doppelspitze bei Core. KITE hat sie während der Kitesurf Masters in St. Peter-Ording 2019 getroffen. Wie der Übergang vom „Regime Bernie“ zur neuen Führung verlaufen ist, warum Fehmarn als Standort für Core alternativlos ist, wie die beiden Chefs die polarisierende Wirkung der Marke einschätzen und warum Core immer mehr Nischenprodukte für Spezialisten anbietet, erklären die beiden im Doppel-Interview.

Portrait von Philip Schinnagel und Jochen Czwalina
Die neuen Core-Geschäftsführer Philip Schinnagel (l.) und Jochen Czwalina (r.)

Ihr habt im Frühsommer die Ge­schäfts­führung von Bernie Hiss über­nommen. Wie groß sind die Fußstapfen, in die ihr tretet? 

PHILIP SCHINNAGEL: Schuhgröße 42. [lacht] Das wurden wir natürlich oft gefragt. Die sind nicht allzu groß, weil wir beide schon sehr lange im Un­ternehmen sind. Die Funktionen haben wir schon seit ge­raumer Zeit inne. Neu ist nun die Verantwortung, die damit verbunden ist. Ich bin seit ungefähr 2010 im Sales-Bereich zuständig für das internationale Wachstum. Und Jochen war schon immer für das ganze Interne zuständig.
JOCHEN CZWALINA: Ich komme aus dem IT-Bereich und mache das schon, seitdem ich im Unternehmen angefangen habe. Das war 2006. Momentan haben wir es so aufgeteilt: Philip ist der Außenminister, ich bin der Innenmister.

Nun galt Bernie, das sagt er immerhin auch von sich selbst, nicht als der einfachste Chef. Er bezeichnete sich selbst als Perfektionist und Fanatiker, der seine Mitarbeiter hin und wieder schon mal zur Weißglut getrieben hat und vor allem nicht loslassen kann. Das hat er auch in seiner Abschieds-Mail angedeutet. Wie schwierig war für euch der Übergang vom „Bernie-Regime“? Und ist Bernie nun wirklich komplett aus dem Unternehmen raus oder gestaltet er Core und Carved noch ein wenig hinter den Kulissen mit? 

JOCHEN: Also, zunächst muss man mal sagen: Ein „Regime Bernie“ gab es gar nicht. Das ist ein bisschen überspitzt dargestellt. Natürlich hat jeder Chef seinen persönlichen Führungsstil. Es stimmt schon: Manchmal war es wirklich anstrengend. Letzt­endlich haben wir alle aber wirk­lich zielgerichtet zusammengearbeitet. Wenn man dann eben mal einen größeren Aufwand hat, haben alle an einem Strang gezogen, sodass es am Ende immer geklappt hat. Das Endergebnis war immer wichtig. Wir haben natürlich unseren ei­ge­nen Füh­rungs­stil, weil jede Persönlichkeit ein bisschen anders ist, und den werden wir in den nächsten Jah­ren auch weiter festigen – so wie wir es in der Vergangenheit eigentlich auch schon gemacht habe. Philip und ich waren ja schon länger Bernies linke und rechte Hand und tagsüber die meiste Zeit im Büro, wäh­rend Bernie häufig nachts mit dem internationalen Geschäft zu tun hatte. Und um die zweite Frage zu beantworten: Bernie ist nicht mehr im Unternehmen tätig. Das hatte er mir gegenüber auch schon vor einigen Jahren angedeutet, dass es sein Traum wäre, sich irgendwann mal richtig auf die Familie konzentrieren zu können. Er hat vier Kinder und ich weiß, dass die in der Vergangenheit immer viel zu kurz gekommen sind. Bernie war – und wahrscheinlich ist er das heute noch – immer ein Arbeitstier. Jetzt hat er Zeit, sich gebührend um seine Familie zu kümmern; das hat er ja so auch in seiner Abschieds-Mail ganz klar gesagt. Und dass Bernie jetzt mehr Zeit hat, kann ich auch bestätigen: Ich habe ihn noch nie so oft auf dem Wasser gesehen wie jetzt. Und häufig ist mindestens ein Kind dabei. Das ist schön zu sehen. Und wir treffen uns immer mal wieder auf dem Fußballplatz, wo unsere Jungs zusammen Fußball spielen. Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen.

PHILIP: Das ist richtig. Da bin ich jetzt ein bisschen neidisch. [lacht] Nein, wir hatten schon immer die Freiheit, viel Zeit auf dem Wasser zu verbringen. Das war Bernie immer ganz wichtig. Auch damit wir dem Entwicklungs-Team das nötige Feedback geben können. Bernie hat früher schon hier in St. Peter-Ording nach der Veranstaltung Ansprachen gehalten, in denen er stets betont hat, dass wir das hier alles nur machen, um möglichst viel aufs Wasser zu kommen. Das war immer seine Mission und das haben wir auch wirklich so gelebt. Das geht nicht immer, der Vertrieb kann natürlich nicht unbesetzt sein. Aber wir haben den perfekten Standort dafür.

Ein Kiter mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Core hat sich von der Zwei-Kite-Strategie von damals verabschiedet und bietet neben den Allroundern zusätzliche Spezialisten-Produkte wie den Wave-Kite Section an.

Jetzt greifst du schon vorweg, die Frage zum Standort Fehmarn wollte ich eh noch stellen.

PHILIP: Das fragt uns jeder. [lacht] Fehmarn bietet eben für uns die perfekten Voraussetzungen. Das hat Bernie schon so gesehen und das leben wir auch weiter. Es ginge nicht ohne. Bis heute ist bei Core jeder Angestellte Kitesurfer.
JOCHEN: Wir haben gerade einen neuen Kollegen eingestellt, der tatsächlich sogar länger kitet als wir, nämlich seit 2000.
PHILIP: Ich kite seit 2001 und derjenige hat mir damals meinen ersten Kite verkauft.
JOCHEN: Und ich kite seit 2006, seitdem ich zur Firma gekommen bin. Tatsächlich bin ich aber schon immer Wassersportler gewesen, Segler zum Beispiel, und bin auch sonst sportlich aktiv. Da lag es nahe, auch mit dem Kiten anzufangen.

Willow-River Tonkin mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Willow-River Tonkin ist eines der Aushängeschilder der Marke. Foto: Thomas Burblies

Im Sommer sehe ich das mit eurem Standortvorteil vollkommen ein, aber wie ist das im Winter? Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, gutes Personal davon zu überzeugen, permanent auf der Insel zu leben und zu arbeiten – auch wenn es zum Kiten ja sehr hübsch ist. Oder überwiegen da andere Standortfaktoren? Als Logistik-Zentrum ist Fehmarn auch nicht gerade bekannt. Wäre es für euch nicht zum Beispiel in Hamburg einfacher, euer Business auszubauen? 

PHILIP: Die Saison dauert ja nicht nur drei Monate wie die touristische Saison zum Beispiel. Diejenigen, die ausschließlich vom Tourismus leben, müssen zusehen, dass sie in drei Monaten ihr Geld verdienen. Wir fangen an, die Zeit ab Ende September zu genießen. Dann ist die Ostsee noch schön warm bis circa Mitte Dezember. Und mit den neuen Neoprenanzügen kann man mittlerweile das ganze Jahr hindurch kiten. Für die Entwickler sind Herbst und Winter auch wichtig. Je kälter der Wind, desto böiger und löchriger wird er. Außerdem haben wir im Herbst die kräftigen Herbststürme. Und wenn ein Kite in diesen Bedingungen funktioniert, dann funktio­niert er auch in Brasilien, wo man meist perfekten Wind hat. Der am weitesten entfernte Strand von uns ist Al­tenteil mit gerade einmal 15 Minuten Fahrzeit. Wir haben hier alle Bedingungen zum Testen, die wir brauchen. Das Einzige, was es nicht gibt, ist natürlicher Swell, aber ansonsten ist Fehmarn das perfekte Örtchen für uns. Der Großteil von unseren Leuten stammt auch aus der Region oder ist sogar „born and raised“ auf Fehmarn.
JOCHEN: Logistisch ist es zum Glück so, dass mittlerweile auch Paketdienste nach Fehmarn kommen. [lacht] Im Ernst, für uns ist es in dem Zusammenhang völlig egal, wo wir sitzen. Aber tatsächlich ist es bei uns Grundvoraussetzung, dass jeder kiten kann, um überhaupt in der Lage zu sein, unseren Spirit zu verstehen. Bei uns kiten alle – von der Buchhaltung bis zum Lageristen! Natürlich ist es nicht ganz einfach, dafür die richtigen Leute zu bekommen. Gut ausgebildetes Fachpersonal ist zwar viel vorhanden, aber mit unserer speziellen Ausrichtung und dem richtigen Lebensgefühl gibt es eben nicht so viele. Und dann müssen wir sie eben auch noch dazu bewegen, dauerhaft nach Fehmarn zu kommen. Idealerweise stellt man die Leute im Sommer ein und nicht im Winter. [lacht] Für uns Fehma­raner ist das natürlich super. In der Sommersaison ist die Insel sehr voll, wir haben viel zu tun. Und im Winter hat man dann eben Zeit, sich auch mal wieder mit Freunden zu treffen. Wir versuchen natürlich, die neuen Kollegen mit in diesen Rhythmus einzubinden. Bei den einen klappt das besser, bei anderen weniger. Die Leute mit einem großen Netzwerk oder diejenigen, die aus Großstädten kommen und immer mal wieder dahin zurückreisen, bei denen ist das eigentlich überhaupt kein Thema. Es gibt übrigens einen schönen Podcast von Oliver Raatz aus Hamburg, der „Losmachen“ heißt. Darin hat unser Head of Marketing Phil Janke, der sich zurzeit in Elternzeit befindet, das ganze Thema in über einer Stunde sehr ausführlich geschildert. Wenn man Interesse hat, in unser Personalgefüge hineinzuhören, und wissen will, wie es ist, aus der Großstadt nach Fehmarn zu kommen, dann kann ich diese Podcast-Folge sehr empfehlen.
PHILIP: Dieser attraktive Standort, das Kite-Mekka Fehmarn, ist für viele das überzeugende Argument. Besser geht es ja eigentlich nicht. Und dazu noch die Arbeit für eine deutsche Kite-Marke.

Ein Kiter mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Mit dem neuen Xlite will Core im Foil-Segment wachsen. Foto: Thomas Burblies

Ihr seid sehr stark auf dem deutschen Markt, international geben andere Brands den Ton an. Wie weit wollt bzw. könnt ihr in den nächsten Jahren noch wachsen?

JOCHEN: Also, zunächst mal weiß ich nicht, ob das jedem bewusst ist. Wir sind ja eine Firma, die quasi bei null angefangen hat ohne be­stehendes Vertriebsnetz, wie es viele andere Marken hatten. Da gab es schon aus Windsurfzeiten 30 Jahre alte Geschäftsbeziehungen in sämtliche Fachgeschäfte weltweit. Wir mussten uns das alles erst aufbauen und sind in dem Zuge gesund gewachsen. Wie du weißt, haben wir einen etwas anderen Ansatz als viele andere Marken. Dadurch dauert der Markteintritt manchmal etwas länger, ist aber dafür umso nachhaltiger. Das ist ein sehr großer Vorteil für uns. Durch die Unternehmensgruppe, in der wir uns jetzt befinden, können wir neue Synergien nutzen. Und das werden wir auch weiterhin tun. Wir haben zum Glück ein sehr gesundes und nachhaltiges Wachstum. Das ist sehr erfreulich, denn es beweist, dass unsere Strategie richtig ist.

Habt ihr denn konkrete Regionen im Fokus, in denen ihr euren Marktanteil aus­bauen und wachsen wollt, beispielsweise in den USA? Oder welche Märkte sind sonst noch wichtig?

PHILIP: Die Vereinigten Staaten sind nach Deutschland bereits der zweit­stärkste Markt, gefolgt von Kanada. In den USA haben wir in den letzten sechs Jahren ein enormes Wachstum hingelegt. Und Frankreich hat Top-Priorität. Dort be­ob­achten wir dasselbe Phänomen wie hier in Deutschland, denn dort ist F-One als Local Brand der Platzhirsch. Es spielt vielleicht auch ein bisschen Patriotismus mit hinein. Ja, wir müssen wachsen. Und ja, wir können aber auch nur nachhaltig wachsen. Wir können zum Beispiel nicht unsere Produktion plötzlich um 25 Prozent erhöhen. Das geht nicht so einfach.

Linus Erdmann mit einem Kittetet von Core
Foto: Thomas Burblies

Habt ihr in naher oder ferner Zukunft vor, die Positionierung der Marke weiter zu verändern? Ins­ge­samt hat man in den letzten Jahren bereits wahrgenommen, dass Core in der Kommunikation etwas jünger – um nicht zu sagen: weniger konservativ – und weniger polarisierend geworden ist.

PHILIP: Das ist eigentlich organisch gewachsen und rührt ein bisschen von der Produktstrategie her. Wie du weißt, haben wir uns vor einigen Jahren ein bisschen mehr geöffnet, um nach Möglichkeit 99 Prozent des Markts zu bedienen. Und daraus sind dann eben auch Produkte wie der Wakestyle-Kite Impact oder der Wave-Kite Section, den wir als leidenschaftliche Wave-Kiter selbst gebraucht hatten, entstanden. Und durch diese Produkte haben wir viele junge Fahrer als Teamfahrer und als Konsumenten generiert, die jetzt zu Markenverfechtern geworden sind. Die sind natürlich auch stark in den sozialen Netzwerken unterwegs und verjüngen durch ihre Aktivitäten die Marke. Außerdem ist die Sprache etwas jünger geworden. Auch da haben wir gemerkt, dass es vielleicht ab und zu guttut, ein paar Spitzen herauszunehmen. Letztendlich ist das unsere Philosophie: Eine Marke braucht starke Anhänger. Und eine starke Sprache, genau wie starke Bilder – das ist das, was mir machen.

Kites von Core in Action
Schwarz oder weiß: Die Farben und Designs sollen bei Core auch weiterhin klaren Linien folgen. Foto: Thomas Burblies

Gleichzeitig polarisiert die Marke Core in der Zielgruppe noch immer – so zumindest mein subjek­ti­ver Eindruck, wenn man zum Bei­­spiel Foren- oder Social-Media-­Dis­kussionen verfolgt. Da gibt es ja die absurdesten Vorurteile. Ist dieses Image gewollt oder seht ihr das gar nicht so? 

PHILIP: Uns ist das auf jeden Fall bewusst. Und wenn ich international unterwegs bin, frage ich auch viele nach ihrer Meinung. Was ich feststelle, wenn ich mit Menschen aus anderen Branchen oder auch anderen Sportarten spreche, ist, dass man kaum irgendwo sonst so penetrante Markenverfechter hat wie beim Kiten. Ein Beispiel: Ich saß mal in Sal in einem Café und neben mir saß eine Gruppe Kiter, die sich über Kite-Marke XY un­ter­hielten. Einer sagte: „Wenn ich je­man­den mit einem dieser ­Kites ­abtreiben sehe, den würde ich trei­ben lassen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob das ein reines Core-Phänomen ist. Ich habe das auch schon mit anderen Marken erlebt. Aber klar, das ist zumindest bei uns ein Resultat aus der Wahl der Bild- und Wortsprache, die wir in den letzten Jahren verwendet haben.
JOCHEN: Letztendlich ist das bei vie­len erfolgreichen Marken so: Entweder magst du das iOS von Apple oder ein Android Smartphone. Und wer sich für das eine entschieden hat, fasst das andere nicht an oder macht sich gar darüber lustig, wenn der andere ein Problem damit hat. Das liegt vielleicht sogar in der Natur des Menschen. Wenn man mit dem Herz dabei ist, will man seine eigene Meinung oder Präferenz wohl auch verteidigen. Das findet man bei anderen Marken ganz genau so. Wir boten natürlich mit unseren anfangs nur gelben Kites auch eine Angriffsfläche. „Fliegende Bananen“, „Spiegeleier“ oder was da noch alles so über uns gesagt wurde. Das war eben so. Und letztendlich war das damals auch so gewollt. Natürlich wollten wir keine fliegenden Bananen haben, es ging aber um die Wahrnehmung am Strand. Sobald man an den Strand kommt, sollte man viele Core-Kites sehen können. Und das ist uns offenbar auch gelungen. Dass man jeden Core-Kiter so einfach identifizieren kann, hat sicherlich auch zur Polarisierung bei­getragen – unabhängig von seinem Können.
PHILIP: Dafür haben wir aber den lo­yalsten Kunden und die meisten Wiederkehrer. Das haben unsere ­ei­genen Marktforschungen ergeben. Außerdem haben wir noch geschafft, un­se­re eigene Community zu bilden. Das ist für Außenstehende eventuell etwas schwieriger, dort ­hineinzukommen.

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Steven Akkersdijk mit einem Kite von Core

Das sehe ich ähnlich. Zumindest glaube ich, dass jeder Kiter zur Mar­ke Core eine Meinung hat. Ob man die Marke nun liebt oder hasst, sie ist niemandem egal – und das ist tatsächlich eine Leistung.

JOCHEN: Letztendlich ist es ja so, dass du dich bei allem, was du machst, fragen musst: Ist das richtig für die Marke? Und das ist ein Grundsatz, an den wir uns halten. Die Marke, die Markenwahrnehmung und die Markenpflege stehen über allem ­anderen.

Wechseln wir mal das Thema und reden etwas mehr über eure Pro­dukt­strategie. Philip hat es vorhin schon erwähnt: Core hat sich in den letzten Jahren in dem Zu­sammenhang stark gewandelt – von einer Zwei-Kite-Strate­gie zu neuen, spezielleren Nischen­mo­del­len wie neuerdings dem One-Strut-­Foil-Kite Xlite. Erfordert der Markt ein solch breites Portfolio oder woher kommt der langfristige ­Sinneswandel? 

PHILIP: Also, der Xlite war gerade auf der AWSI, einer wichtigen Kite-­Messe in Hood River, eines der meistgeflogenen Produkte. Die Leute fahren da richtig drauf ab. Wir haben mit unseren Specialized-Produkten gemerkt, dass es Sinn macht, sich auf eine Sache zu fokussieren, die dieses Produkt richtig gut kann. Wir haben weiterhin unsere Allround-­Produkte und die funktionieren für den Massenmarkt. Aber so können wir auch für jeden besse­ren oder spezialisierteren Kiter das passende Modell anbieten. Natürlich, wir wollen einen möglichst großen Teil des Markts mit unseren Produkten ansprechen. Aber nicht zuletzt sind wir es, die bei der Pro­dukt­strategie noch ein Wörtchen mit­zureden haben und unsere ­eigenen Produkte gerne fliegen wollen. Wir haben Frank [Ilfrich; Anm. d. Red.] als Designer, der ohne Foi­len oder Foil-Kite einfach nicht mehr am Puls der Zeit wäre. Gerade durch die Foils haben die Jungs so viel mehr Zeit auf dem Wasser. Das hätten wir niemals mit normalen Twin­tips hinbekommen und in der Folge ist dann eben der Xlite entstanden. Und wer weiß, wie es in Zukunft wei­tergeht. Wir sind natürlich mittler­weile et­was weg von der ganz einfach zu ver­ste­henden All-in-One-Kite-Stra­te­gie, aber wir versuchen immer noch, es so clean wie möglich mit aufgeräumten Produkten und äs­the­tischen, klaren Linien zu halten und dem Kunden das zu vermitteln. Das gilt auch für die Farben: Schwarz oder Weiß ist so einfach wie deine morgendliche Kaffee-Bestellung. Das ist uns weiterhin ganz wichtig.
JOCHEN: Mit unserem ­Team von Ent­wicklern haben wir natürlich ei­ne riesengroße Kompetenz vor Ort, die es auch leisten können, die­­se ganz speziellen Produkte zu de­signen. Das stelle ich immer wieder in den Gesprächen mit unse­ren Kunden hier am Stand fest. Da sagen viele: „Mensch, bei dem Test-Event bin ich mal den oder den Kite geflogen, aber der fliegt sich ja ganz anders als mein XR.“ Klar, genau deswegen haben wir das auch gemacht! Wer einen Section auspro­biert, wird merken, dass der deutlich weniger Grundzug als ein XR hat, dafür aber deutlich schneller dreht. Es gibt eben unterschiedliche Zielgruppen, die genau so ein Produkt für ihr Anforderungen haben wollen. Willow [Tonkin, Teamfahrer von Core; Anm. d. Red.] könnte mit einem Kite, der nicht so perfekt in der Welle funk­tio­nieren würde, nicht dasselbe leisten. Wenn er sich nicht auf sein Material verlassen kann, funktioniert das nicht auf diesem Level. Und dafür machen wir eben diese sehr spezialisierten P­rodukte.

Ein Kiter mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Wave-Foiling entwickelt sich zum neuen Trendthema. Das Core-Team reiste zum Shooting nach Mauritius und erwischte handfesten Swell . Foto: Julieta Pereyra

Nun habt ihr einen speziellen Foil-­Kite auf den Markt gebracht. Doch auf Foils aus dem Hause Core oder Carved warten Kunden bisher vergeblich. Es kann für euch doch eigentlich nicht zufriedenstellend sein, Foil-Kunden für den Kauf von Boards und Flügel an fremde Hersteller verweisen zu müssen. Ist der Foil-Markt zu klein oder die Foil-­Entwicklung zu kompliziert?

JOCHEN: Ja, das stimmt.
PHILIP: [lacht] Das ist die passende Antwort: „Ja, du hast recht, Arne.“ Nein, im Ernst, wir sind schon lange an dem Thema dran. Aber wie du weißt, hat Core auch schon früher gerne mal bereits funktionieren­de Sachen verbessert. Und ähnlich ist das mit den Foils: Wir brauchen sie, wir fahren sie, aber gleichzeitig können wir noch nicht einschätzen, in welche Richtung der Markt geht. Ich weiß, dass es für viele ein wichtiges Produkt geworden ist. Gerade wenn man am Wochenende weite Strecken in Kauf nimmt, will man bei wenig Wind nicht herumstehen und nicht aufs Wasser kommen. Wir sind dran. Und wann oder ob überhaupt, das können wir dir leider nicht ­sagen.


Und wie schätzt ihr die Marktsi­tua­tion 2019/2020 ein? North kommt zurück, Duotone dreht kräftig am Gashahn seit letztem Jahr und auch von Cabrinha hört man positive Zah­len. Steigt der Druck auf Core? 

PHILIP: Der erste Gedanke, der mir letztes Jahr kam, als ich davon gehört hab, war: „Cool, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“ Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Natürlich ist es auch nicht so eingetreten. Duotone hat alles rich­tig gemacht. Man muss tatsächlich den Hut davor ziehen, dass sie es ge­schafft haben, so ein Re-­Branding hinzulegen über alle Produkte hinweg. Das war ganz großes Kino. Ob es wirklich funktioniert, kann man wohl erst nach einem Jahr sagen. Ich habe in anderen Magazinen auch ein paar merkwürdige Headlines gelesen. Wenn man nach zwei Monaten 20 Prozent mehr verkauft, dann hätten wir auch schon mal „erfolgreichster Manager der Branche“ als Titelzeile haben müssen. Das ist aber nicht ganz so einfach und das entscheidet der Markt. Natürlich ist es leicht, nach einer ganz kurzen Zeit zu sagen, nachdem du deine Produkte austauschen musstest, dass man sehr erfolgreich sei und man mehr verkaufen würde, weil die Läden eben neu gefüllt werden mussten. Wie es in Zukunft aussieht, wird interessant. Ich kenne ei­nen Großteil der Leute, die jetzt das neue North machen, und wünsche auch denen viel Erfolg. Ich habe das Gefühl, dass die Leute auf der Suche nach einer starken Marke mit möglichst wenigen Irritationen sind, und da sehe ich große Chancen für Core. Wir behalten alles bei, wir ändern unsere Strategie nicht. Es hat ein Wechsel in der Unternehmensleitung stattgefunden, wir sind aber schon seit 16 Jahren dabei und unter der „harten Hand Bernies“ [lacht] ausgebildet worden. Wir haben ein top Entwicklungsteam und wachsen weiterhin. Das beweist, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ein Kiter mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Foto: Thomas Burblies

Wie wird sich der Gesamtmarkt aus eurer Sicht in den nächsten drei bis fünf Jahren verändern? Wächst Kitesurfen noch? Wird der Markt schrumpfen? Und wenn ja, bekommen eher die großen oder die kleineren Marken Probleme? 

PHILIP: Sehr „flat“, würde ich sagen. Ich glaube, dass man von null bis dreieinhalb Prozent Umsatzwachstum ausgehen kann. Was ich ganz spannend finde, ist diese neue Wing-Geschichte. Für den normalen „Strandläufer“ hier in SPO sieht eben ein Kiter, vielleicht wenn er dann auch noch ein Foil und eine Matte mit zig Bridle-Leinen dran in der Hand hat, schon sehr „techy“ oder nerdig aus. Und so ein Wing, zusammen mit einem großen SUP-Board, wirkt auf viele, als wenn es einfacher zu handlen wäre. Darin liegt die große Chance. Ob darüber aller­dings mehr Kitesurfer ge­ne­riert werden, das wage ich zu be­zwei­feln. Es sieht halt auch so ein biss­chen 80er-Jahre-mäßig aus. Ich stelle mir das als gutes Add-on vor, wenn dir das normale Paddeln vielleicht zu langweilig geworden ist. Oder als nette Competition, wenn man damit Downwind-Races macht. Aber ansonsten steht eben immer noch die Hürde Foil dazwischen: Das ist nicht so ganz einfach, und bis man es kann, dauert es ein wenig. Man braucht vor allem guten Wind dafür. Aber da gibt es ein weiteres Thema, das relevant für die zukünftige Entwicklung des Markts ist: Ich hoffe, dass in Europa noch mehr Nahziele für Kiter ausgebaut werden. Das wäre ganz wichtig. Es fährt keiner nach Westaustralien, um Kiten zu lernen. Aber es gibt noch genügend bereits vorhandene Infrastruktur in Europa, die zum Kiten genutzt werden kann.
JOCHEN: Zum Beispiel in Dänemark! Überleg mal, wie wenig da los ist, obwohl man dort gut kiten kann. Da gibt es noch so viel ungenutzte Kite-Landschaft. Dass bei uns auf Fehmarn die Spots so voll sind, ist einerseits schön, andererseits aber auch nicht. Denn es birgt das Potenzial, dass doch mal etwas passiert – und das wollen wir alle nicht.

Ein Kiter mit einem Schirm von Core Kiteboarding
Foto: Thomas Burblies

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