Sechs sturmerprobte Kiter erzählen uns von ihren persönlichen Starkwind-Highlights. Und haben für uns „Normalos“ ein paar Tipps, wie man bei extremem Wind überlebt.

Der Herbst ist Sturm-Saison. Wenn der Wind die Wellen zu haushohen Brechern aufpeitscht und am Strand der Sandstrahler angeht, hört für die meisten Kiter der Spaß auf. Doch für einige Hardcore-Helden beginnt dann die schönste Zeit des Jahres.

Sobald im Einflussbereich atlantischer Tiefdruckgebiete hohe Druckunterschiede auf kurzer Distanz auftreten, wird es an der Küste ungemütlich. Besonders im Herbst und Winter ziehen die Sturmtiefs wie auf einem West-Ost-Highway über die Nordseeküste hinweg. Ab neun Beaufort, also 41 Knoten aufwärts, sprechen die Meteorologen von Sturm- stärke. Der Herbst 2017 hat uns bereits mehrere solcher Tage beschert. Mitte September zeichnete der Windmesser am KITE-Testcenter der Surfschule Norddeich Windspitzen mit unglaublichen 64 Knoten auf. Chef-Tester Michael Vogel hatte kurz überlegt, eine Session bei diesen Bedingungen zu wagen, sich aber dann doch weise da- gegen entschieden. Aus gutem Grund: Denn schon ab 30 Knoten kann jeder Fehler ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.

Bei Starkwind läuft alles im Zeitraffer ab. Die kleinen Schirme zwischen vier und sieben Quadratmetern schießen wie nervöse Hornissen durchs Windfenster. Dazu kommen oft unberechenbare Böen, die unsichtbar und mit der Gewalt eines Vorschlaghammers von hinten ins Tuch knallen. Bei solchen Windgeschwindigkeiten wird jeder noch so beschauliche Tümpel zum brodelnden Kochtopf. AAnfängern bleibt bei den Grenzbedingungen nur die Zuschauerrolle. Doch mit der nötigen Erfahrung, der richtigen Kite-Technik, guter Fitness und einer Prise Wahnsinn, gepaart mit der Fähig- keit, das Risiko einschätzen zu können, sind Sturmtage für manche Kiter auch die besten Tage der Saison. Sechs sturmerprobte Kiter erzählen ihre ganz persönlichen Sturm-Highlights – und haben für uns „Normalos“ ein paar Tipps, wie man in solchen Bedingungen überlebt.

Dylan van der Meij

Dylan van der Meji – Teamfahrer bei Flysurfer

„In Europa geht stürmischer Wind häufig mit wirklich miesem Wetter einher. Regen, Kälte und extreme Böen sind die Normalität. Genau so ein Tag war es damals in Wijk an Zee (Holland). Es war nach meiner letzten Session und ich schon ziemlich platt. Doch plötzlich riss der Himmel auf und die Sonne kam heraus. Das Licht war der absolute Hammer. Also habe ich meinen inneren Schweinehund bezwungen und bin nochmal rausgegangen, um genau diesen einen krassen Megaloop mit einer Late Backroll zu springen. Ich musste eine Weile nach der passenden Welle für den Take-Off suchen, fand dann die perfekte Abschussrampe. Der Kite riss mich nach oben, ich loopte ihn so tief wie nur möglich durchs Windfenster und verlor während der Backroll etwas die Orientierung. Zum Glück spürte ich den Kite noch gut an der Bar, sodass ich mich irgendwie aus der Situation befreien konnte, als der Kite wieder über mir stand. Die Landung viel sogar erstaunlich sauber aus. Allerdings donnerte ich gleich danach mit voller Wucht in eine große Welle, die ich übersehen hatte. Bei dem Tempo hat man keine Chance mehr zu reagieren. Lektion gelernt: Nie die Landung aus dem Fokus verlieren.“

Lasse Walker

Lasse Walker – Teamfahrer bei North 

„Kiten bei Extrem-Bedinungen ist immer beängstigend und aufregend zugleich. Man bewegt sich am Rande des Kontrollierbaren und weiß nie, ob der nächste Sprung vielleicht der höchste aller Zeiten wird – oder im Desaster endet. Dieses Foto hat Ydwer van der Heide in Witsand (Südafrika) in der vergangenen Saison gemacht. Der Wind war unglaublich stark, und es rollten perfekte Kickerwellen herein. Solche Tage bergen Suchtpotential. Du kannst einfach nicht aufhören und musst dich immer wieder herausschießen – bis schließlich kein Sonnenlicht mehr übrig ist und die Dunkelheit dich vom Wasser zwingt.“

Julien Fillion

Julien Fillion – Kite-Designer bei Liquid Force

„Riding the storm – das klingt ein bisschen wie ein Rocksong. Aber es wird sehr real, wenn man auf dem Parkplatz in Klittmøller oder Hanstholm (Dänemark) steht und auf die tosende Nordsee schaut. An dem Tag, an dem dieses Foto entstand, waren 45 Knoten. Ich hatte einen Liquid Force NV dabei und der reagiert auch bei viel Wind noch gut. Also ging ich das Risiko ein. Wenn ich bei solchen Bedingungen kite, gehe ich „all in“. Ich versuche, in der Welle unten im Turn maximal zu beschleunigen und dann die Lippe so heftig wie möglich zu erwischen. Allerdings habe ich bei solchen Bedingungen immer einen Notfallplan. Ich fahre nie weiter raus, als ich schwimmen kann. Egal, ob ich mit vielen Leuten auf dem Wasser bin oder allein – ich vertraue nur darauf, dass ich mich im Notfall selbst zurück an die Küste retten kann.“

Tobi Albrecht

Tobi Albrecht – Teamfahrer bei Slingshot

„Auf mich übt Big Air bei Sturm eine unfassbare Faszination aus. Man braucht relativ viel Grundwind, um kleinere und dadurch schnellere Kites fliegen zu können. Damit klappen die Absprünge besser, und man erreicht mehr Höhe. Ob ich dabei Angst habe? Nein, eher einen gesunden Respekt. Egal ob man den Kite verreißt, von einer Welle gewaschen wird oder eine Leine reißt – es endet meist deutlich schlechter als bei einer Lowwind-Session. Wenn ich für eine Big-Air-Session aufs Wasser will, fliege ich meine Kites nicht kleiner als neun Quadratmeter. Deshalb hört bei mir der Spaß bei 35 Knoten auf. Mit einem Siebener Wave-Kite kann ich die Session allerdings bis 40 Knoten ausreizen. Weniger erfahrene Kitern empfehle ich, zunächst bei wenig Wind eine Nummer größer zu fliegen, um sich an das stark überpowerte Gefühl zu gewöhnen. Kleiner Tipp: Wenn man die Kante nicht mehr halten kann, muss man den Hintern noch weiter nach unten bringen und dabei die Bauchmuskeln anspannen.“

Finn Behrens

Finn Behren – Teamfahrer bei Cabrinha 

„Mein heftigstes Sturm-Erlebnis hatte ich im Sommer an der Nordseeküste in Dänemark. Am Horizont zeichnete sich eine etwas dunklere Front ab, die aber nicht allzu gefährlich schien. Doch diese Unwetter-Front näherte sich so schnell, dass es schon zu spät war, als ich es realisiert hatte. Plötzlich nahm der Wind um zwei bis drei Windstärken zu, vor lauter Hagel konnte ich meine eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen. Ich lag im Wasser mit dem Kite im Zenit und konnte nur abwarten, bis die Horror-Front durchgezogen war. Kurz darauf dann das nächste Problem: Der Wind drehte auf ablandig und fächelte plötzlich nur noch magere drei Windstärken über die Nordsee. Was wir daraus lernen: Immer ein Auge auf Wind- und Wetterveränderungen werfen und Fronten ernst nehmen. Auch, wenn sie noch so harmlos aussehen. Und auch wenn diese Augenblicke beängstigend waren: Ich liebe es nach wie vor, mit den Naturgewalten zu spielen. Dann merkt man, wie klein und kraftlos der Mensch ist.“

Andrea Luca Ammann

Andrea Luca Ammann – Teamfahrer bei Cabrinha

„Die Faszination beim Kitesurfen in extrem starkem Wind liegt für mich in der enormen Kraft, die der Wind dann entfaltet. Ich kann mich mit kurzem Ankanten und Anziehen der Bar fast 20 Meter hoch in die Luft und anschließend mit einem Megaloop wie eine Kanonenkugel nach vorne katapultieren. Dieses Gefühl ist schlichtweg unvergleichlich! Das Risiko bei Starkwind wird insofern größer, als dass der Wind unberechenbarer und böiger wird. Außerdem laufen die Dinge schneller ab. Kleine Kites drehen und fliegen schneller, was eine kürzere Reaktionszeit erfordert. Es ist essenziell zu wissen, was man tut, indem man die Risikofaktoren im voraus einschätzt und abwägt. Zudem sollte man das eigene Kitelevel richtig einschätzen und die Bewegungsabläufe im Kopf genau durchspielen. Vertrauen auf die eigenen Skills und auch auf das Material ist extrem wichtig. Aus diesem Grund fahre ich immer Kite-Material, das nicht älter als eine Saison ist und dessen Zustand ich vor der Session nochmals gecheckt habe. Mit der Zeit weiß man, dass man einen Trick beherrscht und wird dadurch routinierter. Man sollte keine Angst haben, aber ein gesundes Maß an Respekt. Die Session mit dem stärksten Wind, in dem ich noch einen acht Quadratmeter großen Cabrinha FX mit 22 m Leinen gefahren bin, war in Südafrika bei Böen bis zu 45 Knoten. Viel mehr Wind geht bei meinem Gewicht (68 Kilogramm) mit dieser Schirmgröße definitiv nicht mehr. Ansonsten muss ich auf einen kleineren Kite wechseln, wobei der Achter mit Abstand meine Lieblingsgröße für Megaloops ist. Ich springe nur ungern Megaloops mit kleineren Kites, da sie zu schnell drehen und dadurch die Gefahr und Auswirkungen von Steuerfehlern rapide zunehmen. Grundsätzlich rate ich jedoch dringend, bei Starkwind den Kite eher eine Nummer zu klein als zu groß zu wählen und sich zuerst bei moderatem Wind langsam an Tricks heran zu tasten. Dann kann man auch bei Hammer-Wind eine gute Session haben. “