Die meisten Männer haben von Hannah Whiteley vermutlich zuerst Bikini-Bilder und die blonde Mähne im Kopf. Sie ist nicht nur Kite-Profi, sondern auch Model – Hannah weiß sich eben zu vermarkten. Ihr Beach-Babe-Image ist ihr jedoch herzlich egal. Die untypische Britin ist eine Vollblut-Sportlerin und liebt das ­Extreme. Nach vielen Jahren auf der Freestyle-Tour ist Big Air ihre neue Leiden­schaft. Deshalb macht sich die „Anna Kournikova des Kitens“ – so titulierte sie das Magazin „Fit for Fun“ einst – für ein eigenes Frauenformat beim King of the Air stark. 2019 lieferte sie beim Damen-Show-Event im Rahmen des KOTA gemeinsam mit Angely Bouillot überzeugende Argumente, warum das längst über­fällig ist. Im Skype-Gespräch mit KITE verrät die quirlige 28-Jährige, wie sie das ­Beste aus dem Corona-Lockdown macht, welche Entwicklung und Per­spek­tiven das Damen-Kitesurfen durchlaufen hat und was sie tun würde, wenn sie für einen Tag den Job mit Boris Johnson tauschen dürfte.

Interview: Arne Schuber / Fotos: Svetlana Romantsova // Erschienen in KITE Ausgabe 2/20 am 29.04.2020

Hannah Whiteley in Action

Hi Hannah! Hat dich die Corona­­krise auch gerade so im Griff? Für Kite-­Profis wie dich heißt es ja ­derzeit ebenfalls „Stay at home“. Was gleich­bedeutend ist mit: keine ­Arbeit, keine Kohle. Wie gehst du damit um? Sitzt du es aus oder hast du schon einen Plan B?
Ja, das ist wirklich irre, wie die Krise das Leben von uns allen gerade durcheinanderwürfelt. Speziell für diejenigen, die aufs Reisen angewiesen sind, um ihren Job zu machen, wird das auch noch länger eine schwierige Situation bleiben, fürchte ich. Ich bin zu Hause im Vereinigten Königreich und habe noch Glück, weil die Regierung uns erlaubt, ein­mal pro Tag draußen Sport zu treiben. Aber ansonsten kann man natürlich momentan nicht viel anderes machen, außer vielleicht in den Supermarkt zu gehen. Ich musste also alle meine Pläne erst mal auf Eis legen. Eigentlich hätte ich jetzt ein Photoshooting in Venezuela gehabt, aber daraus wird wohl in absehbarer Zeit nichts. Da niemand von uns jemals in einer solchen Situation war, lernen wir gerade alle, damit irgendwie umzugehen. Auf der anderen Seite habe ich jetzt mehr Zeit, das ist gar nicht so schlecht.
Normalerweise bin ich dauernd auf Reisen und komme kaum zu anderen Dingen. Jetzt versuche ich, die mir „geschenkte“ Zeit nicht zu verschwenden, und mache eben andere Dinge wie zum Beispiel digitale Work-outs für meinen Sponsor Chiemsee oder so etwas. Und ich kann endlich zu Hause mal klar Schiff machen. [lacht] Außerdem plane ich neue Projekte für die Zukunft. Ich bin sicher, dass es alles hoffentlich bald wieder normaler läuft und wir dann alle wieder unserem Job nachgehen können.

Und was machst du, wenn es doch länger dauern sollte?
Ich habe früher schon im Bauunternehmen von meinem Vater gearbeitet. Also könnte ich notfalls wieder bei ihm anfangen und auf dem Bau arbeiten. Ich habe auch eine Aus­bil­dung zur Innenausstatterin gemacht und damals überlegt, ob ich mal ei­ne eigene Firma gründen sollte. Dann kam aber das Kitesurfen dazwischen. [lacht] Doch diese Option hätte ich nach wie vor.

Hannah Whiteley in Action

Wo warst du, als du gemerkt hast, dass sich mit Corona tatsächlich eine richtige Krise anbahnt? Viele Leute aus der Kite-Szene waren zu der Zeit ja über den halben Erdball verteilt und hatten teilweise enorme Probleme, ihre Heimreise organisiert zu bekommen, wenn sie auch nur einen Tag zu spät reagiert haben.
Ich war in Kapstadt, als das alles in Europa so langsam losging. Auch ich habe das Tempo unterschätzt, wie diese Pandemie an Dynamik gewonnen hat. Ich bin dann aber ohnehin kurz nach Hause geflogen, weil ich damals noch den Plan hatte, dass ich so früh wie möglich nach Venezuela für das Shooting auf Los Roques ­reisen wollte. Ich hatte Angst, die Rückflüge könnten gestrichen werden und ich würde dann dort festhängen. Und du willst wirklich gerade nicht in Venezuela hängen bleiben. Das Land hat ja eh bereits wahnsinnige Probleme, auch ohne Corona. Einen Tag vor dem Hinflug wurden dann unsere Flüge komplett gestrichen, also hatte sich das Thema von selbst erledigt. Ein paar Tage später sprach ich mit Freunden, die bereits auf Los Roques waren, und die sagten mir, sie würden nicht mehr zurückkommen können und wüssten auch nicht, wie lange sie dort festsitzen. Sie dürfen nicht einmal an den Strand, geschweige denn kite­surfen. Also sitzen sie im Hotel und warten, bis sich die Lage bessert. Da hatte ich also mehr Glück. Vielleicht passiert das alles gerade ja auch aus einem Grund. Wir alle haben so viel Freiheit, leben ein wirklich freies Leben und tun, was wir wollen. Das geht jetzt eben für eine Weile nicht mehr. Da spürt man, wie privilegiert man eigentlich ist, und weiß seinen Lifestyle wieder mehr zu schätzen.

Das war’s jetzt aber auch mit dem Corona-Talk und wir reden mal wieder über schönere Themen. Letz­tes Jahr hast du zusammen mit Angely Bouillot beim King of the Air 2019 eine Art Show-Event vor dem Contest gemacht, um zu zeigen, dass auch Frauen im Big Air einiges draufhaben. Da es nach wie vor keinen Damen-Event gibt, hat sich Angely in den Herren-Event ge­kämpft und durfte als erste Frau beim KOTA antreten. Was sagst du zu ihrer Performance und denkst du, dass es richtig ist, als Frau gegen Männer anzutreten, oder würdest du einen eigenen Big-Air-Event für Frauen befürworten?
Angely ist wirklich eine unglaub­li­che Kiterin. Bei den Frauen hat sie die Limits verschoben und ich liebe es, mit ihr zusammen zu kiten. Ich war leider dieses Jahr nicht selbst beim KOTA, da ich mit Duotone ein Shooting in der Karibik hatte. Aber von dem, was ich gesehen habe, den­ke ich, sie konnte nicht so viel von dem zeigen, was sie wirklich draufhat. Es ist ein Unterschied, ob man für sich allein fährt oder im Contest unter Zeit- und Leistungsdruck antreten muss. Das braucht eine ganze Zeit, um zu lernen, wie man mit diesem Druck umgeht. Und sie hat sich sehr viel Druck aufgeladen. Wir haben lange dafür gekämpft, unseren eigenen Contest beziehungsweise eine Damenwertung zu bekommen, und wir stehen in den Startlöchern. Es gibt einige Mädels, die Big Air auf einem unfassbaren Niveau fahren, neben Angely zum Beispiel ­Pippa van Iersel, aber auch noch viele mehr. Ich finde es ziemlich rückstän­dig, dass es immer noch keine Damenwertung beim KOTA gibt. Natürlich war es für Angely ein riesiger Erfolg, es in den Event geschafft zu haben, aber eine Damenwertung wäre für uns alle fairer. Hoffentlich checkt das Red Bull in der Zukunft, dass wir Frauen auch enorm viel draufhaben, das sich zu zeigen lohnt.

Hannah Whiteley im Wasser

Mal angenommen, so ein Format käme tatsächlich: Würdest du teilnehmen oder hast du keinen Bock mehr auf Contests?
Doch, natürlich würde ich. Ich habe sogar größeres Interesse, an Big-Air-Events teilzunehmen, als an reinen Freestyle-Events. Das habe ich lange Zeit gemacht und liebe es nach wie vor, aber das Extreme am Big Air reizt mich. Nur leider gibt es eben außer dem KOTA kaum Events. Das ist doch gerade das Einzigartige beim Kiten, was uns von anderen Sportarten wie zum Beispiel Windsurfen unterscheidet: Wir können extrem hoch springen und genau das sollten wir stärker in den Mittelpunkt rücken.

Wenn das doch nicht kommen­ ­sollte, würdest du dann wieder bei der Freestyle-Tour mitfahren? Und was hältst du davon, wie sich die Tour in den letzten Jahren entwickelt hat? Es gab ja immer wieder mal Versuche, Big Air in die Tour ein­zugliedern. Dennoch war auch 2019 mehr oder weniger eine reine Freestyle-­Tour.
Um ehrlich zu sein, denke ich zurzeit nicht darüber nach, auf der Tour mitzufahren. Das kann sich irgendwann natürlich wieder ändern. Ich versuche, mein Level im Freestyle weiter­hin hoch zu halten, und trainiere natürlich viel. Dennoch reizen mich mitt­lerweile eben auch andere, neue Dinge beim Kiten und ich möchte gerade nicht immer dasselbe machen.

Wie siehst du die Entwicklung des Damen-Kitesurfens generell, sagen wir auf die letzten zehn Jahre eingegrenzt? Du bist ja schon eine Weile dabei. Bist du zufrieden, wie Damen-Kitesurfen in der Öffent­lich­keit dargestellt und wahrgenom­men wird, und was würdest du vielleicht gerne ändern?
Zunächst mal muss man sagen, dass immer mehr Frauen und Mädchen in den Sport gekommen sind, und das ist gut so. Denn es beweist, dass ­Kiten nicht nur etwas für Jungs ist. Früher dachten viele, man ­müsste sehr stark sein, um diesen ver­meint­lichen Extremsport zu bewältigen. Heute kommt dazu, dass sich bei den Damen das Level enorm gesteigert hat, insbesondere beim Freestyle. Die Mädels lassen es wirklich krachen. Als ich nach meinem Auftritt beim KOTA vom Wasser kam, haben mich superviele junge Mädels angesprochen und meinten, dass sie das mega fänden und dass sie jetzt ebenfalls Big Air lernen wollten. Das ist cool, dass wir darüber auch andere dafür begeistern konnten. In einem sind sich eigentlich alle einig: Wenn es beim KOTA ein eigenes Damenformat gäbe, so würde das Level bei den Frauen im Big Air in kurzer Zeit ­explodieren.

Hannah Whiteley in Action

Das sehe ich genau so. Vielleicht ha­ben einfach viele Typen immer noch ein falsches Bild vom Damen-­Kiten. Apropos: Ich google ja gerne mal meine Interviewpartner im Vorfeld. Bei dir kam als einer der ersten deutschen Sucheinträge ein Artikel einer großen deutschen Fitness-Lifestyle-Zeitschrift mit der Headline „Sexy Hannah hebt ab“. Was denkst du, wenn du solche Head­lines liest?
[lacht] Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht einmal, was genau das für ein Artikel ist. Keine Ahnung, was so etwas soll. Die Realität ist ja, um ehrlich zu sein, ziemlich häufig das Gegenteil von sexy: Ich latsche mit Sand paniert am Strand he­rum, klettere über Felsen, ich lege mich beim Kiten aufs Maul oder ich bin bei Scheißwetter dick in Neopren einge­packt. Aber mich stören solche Bilder auch nicht.

Dasselbe Magazin hat dich in dem Artikel als „Anna Kournikova des Kitens“ bezeichnet. In meinen Augen ist das nicht gerade ein Kompliment, denn Kournikova galt zwar als attraktiv und hatte viele Werbedeals, aber war zumindest sportlich nie wirklich erfolgreich. Bei dir ist das anders, obwohl du tatsächlich ein gewisses Image hast. Ärgert dich so etwas?
[lacht] Klar, Mainstream-Medien ver­ein­fachen halt und denken sich solche blödsinnigen Verglei­che aus. Wie gesagt, die Rea­lität sieht beim Kiten anders aus, nur interessiert das sol­che Magazine vermutlich nicht. Aber das hat ja nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun. Na­türlich machen sich viele Leute von Profis wie mir vorschnell ein Bild oder ha­ben sogar Vorurteile. Allerdings kümmere ich mich eigentlich nicht darum. Ich will mein Ding machen und mein Bestes geben und deshalb ist mir so etwas herzlich egal.

Wer ist dein größtes Vorbild und ­warum?
Puh, das ist nicht einfach, ich blicke zu so vielen Menschen auf. Weil ich Britin bin, zählen dazu sicher die britischen Jungs, Aaron Hadlow ganz vorneweg. Warum? Das muss man bei Aaron, glaube ich, nicht extra begründen. Aber auch Lewis Crathern ist ein wahnsinnig guter Typ, genau wie noch weitere meiner Teamkollegen bei Duotone.

Hannah Whiteley am Strand

Ich höre da einen gewissen Nationalstolz heraus. Würdest du sagen, dass du eine typische Britin bist?
[lacht] Ja, möglicherweise bin ich sehr britisch, trinke auch gerade eine Tasse Tee. [hält eine riesige Tasse in Form eines Schafs in die Kamera] Auf der anderen Seite bin ich auch wieder sehr untypisch für eine Britin. Hier gehört es dazu, häufig auszugehen und in Bars oder Pubs abzuhängen. Damit kann ich gar nichts anfangen. Ich hasse den Geschmack von Bier und Wein, das ist wohl nicht sehr britisch.

Mal angenommen, du dürftest für einen Tag Präsidentin, Kanzlerin oder Premierministerin von einem Land sein: Welches Land wäre das und was würdest du in diesem Land ändern?

Puh, schwierig. Ich denke, es wäre wohl das UK! Wie geil wäre es, Boris Johnson zu sein! Was würde ich machen? Ich hätte ja jetzt eine große Verantwortung. Vielleicht würde ich gern etwas an der Ernährung in diesem Land ändern, sodass gesundes Essen und gutes Gemüse günstiger und einfacher verfügbar wären. Und ich würde diesen ganzen ungesunden Schrott verbannen wie diese ek­li­gen Mikrowellen-Fertig­gerichte. An­sonsten würde ich wohl einen nationalen Kite-Tag einführen, an dem man legal auf der Themse in London kiten dürfte. [lacht] Davon träume ich schon lange. Aktuell gehst du dafür vermutlich direkt in den Knast. Und natürlich würden die Schüler freihaben, damit sie an diesem Tag an den Strand gehen könnten, um kostenlos Kiten zu lernen. Es gibt ständig irgendwelche Tage für irgendetwas, also wa­rum nicht auch einen nationalen Kite-Tag?

Dann wünsche ich dir alles Gute und drücke uns allen die Daumen, dass wir bald wieder raus in die Welt dürfen. Vielen Dank für das Interview!

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