Cold Hawaii ist genauso beliebt wie überlaufen. Klar, die Bedingungen insbesondere für Wave-­Kiter suchen in Nordeuropa ihresgleichen. Doch die dänische Küste hört hinter der Fischfabrik in Hanstholm ja nicht auf. Warum nur so wenige Kiter die nördlicher gelegenen Strände in der Jammerbucht und der Tannisbucht bis hinauf nach Skagen bevölkern, wollten wir selbst herausfinden und haben den September für einen Erkundungs-Trip an Jütlands nördlichsten Zipfel genutzt.

Kiter in Dänemark

Nach einigen Tagen in Hanstholm und beim Cold Hawaii Games Big Air in Nørre Vorupør steht uns der Sinn nach Abwechslung. Und ehrlich gesagt: Ein paar weniger Menschen wären auch nicht schlecht. Denn trotz – oder gerade wegen – Corona steppt zwischen Krik und Hanstholm gerade an allen Stränden der Bär. Als Mensch, der beruflich in der Kite-­Szene zu tun hat, ist es unmöglich, auch nur einen Fuß aus dem Camper zu setzen, ohne dort ein bekanntes Gesicht zu sehen. Klar, das ist einerseits lustig, denn man findet immer jemanden zum Blödsinnreden und Biertrinken, andererseits ist so eine Session ohne den ganzen Trubel hin und wieder auch mal ganz nett. Deshalb packen wir unseren Stuff und fahren Richtung Norden. Ich will herausfinden, warum dort gefühlt sonst niemand hinfährt. Zumindest kenne ich kaum jemanden, der das tut.

Die Cold Hawaii Games in Norre Vorupor

Für die nächsten Tage ist mittelprächtiger, leicht drehender Westwind vorhergesagt. Mit einem Blick auf die Landkarte ist schnell klar, dass der Küstenabschnitt westlich von Hirtshals passen müsste, denn hier trifft Westwind side- bis side-onshore auf die endlosen langen Sandstrände. Und das Beste für einen Campingbus-Addict wie mich: Viele Strände sind Autostrände. Kein Geschleppe, Kites direkt am Auto aufblasen und zwischendurch mal auf einen Kaffee und irgendwelche pappsüßen dänischen Zuckerschweinereien in die warme Karre hocken – geil. Apropos süß: Das Licht um die Jahreszeit in Nord-Dänemark ist absolutes Eye Candy! Die Sonne steht den ganzen Tag über so tief, dass das Licht warm und leicht dämmerig wirkt, selbst zur Mittagszeit ein Traum für Menschen mit einer gewissen Affinität zur Fotografie. 

Wir folgen der Landstraße in Richtung Nordosten. Die Landschaft ist typisch dänisch: Weite Dünen wechseln sich mit Feldern und kleinen Wäldern ab. Auf der rechten Seite taucht der Limfjord auf. Rund eine halbe Stunde hinter Hanstholm lockt an der Straße ein „Kitesurfing“-Schild auf einen kleinen, direkt am Wasser gelegenen Parkplatz. Øsløs ist ein beliebter Flachwasser- und Freestyle-­Spot für alle, denen Cold Hawaii zu wellig oder zu voll ist. Der Parkplatz ist zwar klein, der Spot dafür umso riesiger. Schaut vielversprechend aus, kennt man aber so oder ähnlich bereits von anderen dänischen Flachwasserrevieren wie Krik, Thors­minde oder Hvide Sande.

Kitespot in Hirtshals, Dänemark

Bett mit Meerblick: Hirtshals

Der Wind ist ohnehin nicht so dolle und mir steht der Sinn mehr nach Wellen, also rollen wir direkt weiter, um uns einen Stellplatz für die Nacht zu organisieren. Da wir artig sind, suchen wir uns einen Campingplatz. Offizielle Wohnmobilstellplätze, auf denen das Übernachten ­außerhalb eines Campingplatzes erlaubt ist, findet man in Dänemark leider selten. Ich bin kein großer Fan von Cam­pingplätzen und stehe am liebsten irgendwo im Nirgendwo, aber das ist in Dänemark leider verboten und kann empfindliche Geldstrafen nach sich ziehen – wenn denn kontrolliert wird. „Es gibt hier im Umkreis von 50 Kilometern genau ein Polizeiauto und die scheißen drauf, wo du pennst“, will mir einer der Lo­cal-Kiter, der nach eigenen An­ga­ben aus der Cold-Hawaii-Kommune stammt, aber die Ausstrahlung eines Investmentberaters hat, weismachen. Da ich um die Diskussionen um aus­ufern­de Wildcamping-Orgien in Klitmøller weiß, ignorieren wir sei­nen Vorschlag und stellen uns trotz­dem auf einen Campingplatz. Und in Hirtshals direkt unterhalb des Leuchtturms westlich der Hafeneinfahrt finden wir einen Platz, der sogar Campingplatz-Muffel positiv überrascht: direkt an der Steilküste mit Blick aufs Meer, nur ein paar Wohnmobile und Busse über den Platz verstreut und ohne dieses ganze Camping-Brimborium mit Gartenzwergen, Schwimmbad und derlei Chichi. Damit können wir gut leben.

Kitespot in Tversted, Dänemark
Tversted zeichnet sich durch eine Mi­- schung aus Kabbelwasser und Welle aus. Sandbänke glätten die gröbere Dünung.

Windschatten und leere Strände - Kjul und Tversted

Der Wind für den nächsten Tag soll zulegen. Also beschließen wir, die drei östlich gelegenen Spots in der Bucht von Hirtshals anzusteuern. Zunächst passieren wir den Hafen, von dem die großen Fähren nach Nor­we­gen und Schweden ablegen. In Sichtweite beginnt abgetrennt durch ein paar mächtige Windräder der Strand von Kjul. Als wir dort auf den breiten, harten Sandstrand rollen, kommt in mir der Gedanke auf, dass es nor­ma­ler­weise einen Grund gibt, wenn man an einem Wind­tag an einem frei zugänglichen Kite-Spot keine Kiter sieht. Wir sind mutter­see­len­allein. Zwar ist es noch früh, doch auch nach ein paar Stunden sehen wir nur eine Handvoll Menschen, die ihren Fiffi mittels Stöck­chen kläf­fend in die sanften Bran­dungs­wel­len scheuchen. Dass der Spot für Wind aus West nicht erste Wahl ist, liegt zwar nahe, doch ich hatte ge­hofft, dass sich die Verwirbelun­gen durch die Windräder vielleicht in Grenzen halten. Der Wind ist böig wie ein bo­cken­des Pony. Schade eigentlich: Die Nordsee fällt relativ flach ab und über den vorge­la­gerten Sandbänken kräuseln sich bereits leichte Wellen. Wenn es hier kräftiger und lang anhaltend bläst, kann man wie eigentlich an der ganzen Küste mit kleinen bis mitt­leren Wellen rechnen. Die vorge­la­gerten Sandbänke in Kjul filtern die grö­be­ren Wind­wellen heraus, sodass je nach Tide auf den ersten hundert Metern relativ flaches, leicht kabbeliges Wasser umherschwappt. Fürs Wave-­Board lohnt das noch nicht, also gibt’s eine kurze Session mit dem Twintip. Neben dem böigen Wind nervt die überraschend starke Strö­mung. Denn die zieht mit dem Wind nach Osten und macht das Höhe­lau­fen mühsam. Bei leicht schräg auf­lan­di­gen Be­dingungen würde der Spot deutlich besser funktionieren, dann kommt auch der Wind konstan­ter an. Also weiter zum nächsten Strand.

Der ist zum Glück nur wenige Kilo­me­ter von Kjul entfernt. Wer sich traut, kann bei Niedrigwasser versuchen, direkt am Strand entlang­zu­fahren. Ich hatte gehört, dass in Tver­sted die Bedingungen ähnlich sein sollen, der Strand aber noch breiter und schöner sei. Ersteres stimmt, Letzteres entpuppt sich als genau gegenteilig: Der Strand ist fast komplett überspült. Zwar hat offenbar ein mutiger Ortskundiger ein paar Reifenspuren in den gerade mal zehn Meter breiten Strand gefräst, doch ich will nicht Gefahr laufen, meine Karre dort in der Nordsee zu versenken. Das sahen wohl die insgesamt vier anderen Kiter, die dort bereits auf dem Wasser toben, offenbar ähnlich. Vor der Stranddurchfahrt gibt es einen kleinen Parkplatz mit – und das fasziniert mich an Dänemark jedes Mal auf Neue – kostenlosem öffentlichen WC-Häuschen inklusive Dusche, das auch noch ordentlich in Schuss ist, sodass man sich gerne hineintraut. In Deutschland findet man so was trotz teurer Kurkarte selten.

Mieseste Session ever - Løkken

Ich schnappe mir einen Neuner, denn der Wind legt langsam zu. Die Bedingungen sind tatsächlich ähnlich mit denen in Kjul. Nur fällt die Küste etwas steiler ab, sodass der Stehbereich kleiner ausfällt und die ungeordneten Nordsee-Windwellen weiter bis an den Strand heranrollen. Fürs Wellenabreiten sieht das leider auch hier zu ungeordnet aus. Dafür bräuchte es wohl deutlich mehr Wind über einen längeren Zeitraum. Immerhin erwischt man mit dem Twintip ein paar nette Kickerwellen und als Freeride-Spot mit Bump-and-jump-Charakter ist Tversted ganz okay, wenn auch nicht berauschend. Vorteil: Der Wind ist deutlich konstanter als in Kjul.
Für den Nachmittag ist drehender Wind angesagt. Ich mag der Vorhersage nicht so recht glauben, dass er auf einen Schlag um 90 Grad von Westnordwest auf Nordost drehen soll. Also gönnen wir uns im Örtchen Tversted erst mal frischen Fisch im „Fiskehus“ – günstig, saulecker und überraschend viel. Noch während ich die letzten Bratkartoffeln vom Teller piekse, pfeift es uns auf der kleinen Terrasse urplötzlich die Servietten vom Tisch. Die anderen Gäste flüchten in den Wintergarten, wir springen so schnell wie möglich wieder in den Bus. Der nächste Spot wartet.

Bei Nordost hat man die Qual der Wahl: Entweder fährt man nach Løkken oder an die Ostseeseite der langen Landzunge unterhalb von Skagen. In Ålbæk, so habe ich mir später erzählen lassen, soll es bei Nordost hinter der Hafenmole feinstes Flachwasser mit perfekten Freestyle-Bedingungen geben. Insbesondere wenn der Wind so schnell dreht, kräuselt sich in der Bucht nicht der leiseste Chop. So weit, so logisch – und doch entschließe ich mich blöderweise gegen Ålbæk. Ein Fehler, wie sich später herausstellen soll. Stattdessen steuern wir also Løkken an. Die Dreiviertelstunde Autofahrt für die hypothetische Chance auf Sideshore-Wind von rechts und hoffentlich ein paar nette, kleine Wellen investiere ich gerne. An der Nordsee sind die Gelegenhei­ten für Regular-Fahrer rar, Wellen front­side filetieren zu können. Und in Løkken gibt es sogar eine Hafenmole, die die Wellen sortiert, sowie den obligato­rischen Autostrand. Eigentlich richtig gute Voraussetzungen für eine Sahne-Session – sollte man meinen.

Wan­der­düne Rubjerg ­Knude in Dänemark
Die Wan­der­düne Rubjerg ­Knude ist bei Paraglidern wegen ihrer Aufwin­de beliebt

Schon auf der Fahrt spüre ich, wie der Wind zulegt. Immer wieder muss ich gegenlenken, weil der Wind mich in Richtung Fahrbahnmitte presst. Als wir durch die Strandauffahrt rollen, fliegt der Sand waagerecht von rechts nach links. Zunächst versuchen wir es südlich der Hafenmole. Sogar die Sonne blitzt endlich hinter ihrem grauen Vorhang hervor, dazu locker 30 Knoten aus Nordost. Nur leider hält der Blick aufs Meer nichts als Enttäuschung bereit: absurd cha­o­tisches Schwippschwapp, nicht einmal ein Hauch von brauchbaren Wellen ist zu sehen. Wir fahren auf die andere Seite des Spots, denn nörd­lich der Mole kommt man ebenfalls auf den Strand. Leider dasselbe Bild, Arschkarte gezogen. Da wir schon extra hergefahren sind, will ich es zumindest ausprobieren. Vielleicht gibt’s ja weiter draußen noch irgendetwas Brauchbares. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ich pumpe einen Siebener-Wave-Kite auf, bin völlig übernagelt und entscheide mich freiwillig dazu, das Strap­less-­Board im Bag zu lassen. Zwar würde ich selbstbewusst behaupten, dass ich einiges gewohnt bin, aber die Bedingungen grenzen wirklich an Unfahrbarkeit: völlig chaotisch durcheinander brechende Wellen von allen Seiten, dazu Atomwind. Mit jedem Schlag spüre ich, wie mir die Knie scheppern. Ich rutsche ein paar Mal unmotiviert hin und her – Spaß macht das nicht, eher im Gegenteil.

Offenbar habe ich Aufmerksamkeit auf mich gezogen. In der Ferne sehe ich eine Flysurfer-Matte in meine Richtung aufkreuzen. Der Typ ist of­fen­bar dort aufs Wasser gegangen, wo wir zuvor südlich der Mole standen. Nun quält er sich in langen Schlägen zu mir hinauf. Ich fürchte, er hat vermutet, dass ich wüsste, was ich hier tue. Anders ist sein enttäuschter Gesichtsausdruck nicht zu erklären, als wir uns kurz im Wasser begrüßen und er mich fragt, ob es hier überall so beschissen sei. „Ich vermute, leider ja“, entgegne ich und er pflügt mit hängenden Schultern wieder downwind. Die Session gehört zu den miesesten, die ich in meiner Kite-Karriere jemals hatte.

Zurück am Strand erfahre ich, dass der Spot nicht viel dafür kann, sondern die Bedingungen aufgrund des rapiden Winddrehers an diesem Nach­mittag wohl wirklich ungewöhnlich schlecht sind. Als ich genervt zu­sam­menpacke, spricht mich eine junge Frau aus ihrem Auto he­raus an. Sie ist Local und mag selbst kaum glauben, wie heftig die Suppe heute brodelt. „Normalerweise ist Løk­ken bei Südwest oder Nordost wirk­lich toll zum Wave-Kiten. Ich weiß, schwer zu glauben, aber die Wellen sind hier wirklich clean.“ Ich glaube ihr das einfach mal und beschließe, ihre Aussage hoffentlich irgendwann später noch verifizieren zu können.

Wie fast überall in der Region kann man auch in Skiveren direkt auf dem Strand parken.

Letzer Halt vorm Skagerrak - Skiveren

Am nächsten Tag will ich den restlichen Zipfel bis hinauf nach Skagen erkunden. Ich weiß be­reits, dass Skagen selbst genau wie das kurz davor gelegene Kandestederne ei­gentlich keine brauchbaren Kite-­Be­din­gun­gen bereithält, weil die Naht­stelle zwischen Nord- und Ostsee von heftigen Strömungen und chaotischen Wellen geprägt ist. Doch ansehen will ich mir die Gegend trotzdem und auf dem Weg dorthin liegt mit Skiveren einer der letzten brauchbaren Kite-Spots vor dem gäh­nenden Schlund des Skagerraks. Hier treffen wir tatsächlich auch mal auf ein paar andere Kiter. Normalerweise freue ich mich, wenn ich einen guten Spot für mich allein habe, doch hin und wieder tut etwas Gesellschaft ganz gut. Wir parken das Auto auf dem Strand, ein kurzer Schnack mit den Nachbarn und los geht’s.

Bunkerrest im dänischen Hirtshals
Direkt neben dem Campingplatz in Hirtshals liegt in den Dünen das Bun­ker­museum, das historisch Interes­sierte über die Befesti­gungs­­anlagen des Zweiten Weltkriegs aufklärt.

Zuerst packe ich das Twintip aus und inspiziere, ob man von dem Welt­kriegs-­Bunker in Lee mit Kite ins Wasser springen kann. Diese Betonklötze faszinieren mich auf morbide Art immer wieder: Die verdammten Nazis haben damit die komplette Küste von Frankreich bis hinauf nach Dänemark zugepflastert und die grauen Hinterlassenschaften der Braunen sind derart massiv, dass sie wohl auch in vielen Jahrzehnten noch die Landschaften verschandeln werden. Doch der Wind kommt zu schräg auflandig zum Hinunterspringen, außerdem bin ich ein Schisser. Dafür laufen die Wellen heute immerhin wieder so, dass sie ihrer Bezeichnung halbwegs gerecht werden. Also wechsle ich aufs Directional und tobe mich zwei Stunden strapless in den mushy Bedingungen aus – nicht episch, aber gar nicht mal so schlecht. Skiveren hat dank seiner Sandbänke durchaus Potenzial und lohnt sich bei starkem Südwest bis West, unter Umständen auch Nordost. Der Uferbereich ist flach, sodass auch Twintip-Freerider ohne viel Erfahrung nicht gleich von den Wellen gefressen werden, wenn sie in Ufernähe bleiben.

In den Dü­nen vor Ska­gen kann man die „versandete Kirche“ St. Laurentius aus dem 13. Jahrhundert ­bestaunen

Versandete Kirchen, Hippe Street Art und moderne Kunst

Da ich mit meiner Entscheidung, nach Løkken zu fahren, anstatt das tolle Flachwasser in Ålbæk zu nutzen, vor ein paar Tagen schon einmal tüchtig danebenlag, will ich lieber nichts ris­kieren. Richtig gute Wave-Tage be­kom­me ich als Wahl-Münchner leider viel zu selten. Also geht’s doch wieder zurück nach Nørre Vorupør, um mich mit den ganzen Wahnsinnigen dort um die Wellen zu kloppen. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich früher oder später noch einmal hinauffahren werde. Die Spots zwischen Jammerbucht und dem dänischen Nordkap haben es verdient, noch mal bei besseren Be­din­gun­gen inspiziert zu werden. Potenzial ist auf jeden Fall reichlich vorhanden – genau wie Platz auf dem Wasser. Und allein dafür lohnt sich die kurze Fahrt von Cold Hawaii ­hinauf nach Norden.

Danach ist erst mal Flaute angesagt. Irgendwie freue ich mich sogar da­­rü­ber, denn auf so vielen Kite-Trips – ob beruflich oder privat – sehe ich mir in der Regel nur Spots und Strände, aber wenig von der Region oder gar Kul­turelles an. Da hilft es ungemein, wenn die bessere Hälfte, die einen be­gleitet, nicht viel mit Kiten am Hut hat. Dann werden No-Wind-Tage für Ausflüge genutzt. Und da ich seit vier Wochen im Camper unterwegs bin, freue ich mich tat­säch­lich auch ein klein wenig auf Urba­nität. Die Region hat wirklich allerhand zu bieten. Wer auf „Schiffe­gucken“ steht, kann in Skagen die großen Kreuzfahrtschiffe beobachten oder eine kurze Wanderung zur „versandeten Kirche“ unternehmen, von der nur der Kirchturm aus den Sanddünen herausschaut. Wobei der Name etwas irreführend ist, denn der Turm steckt zwar im Sand, aber der Rest der Kirche wurde von Menschenhand abgetragen.

In Ålborg entdeckt man an fast jeder Ecke interessante Street Art Murals. Der Heiligenschein aus Sonnenstrahlen war pures Glück.

Wir haben mal wieder Lust auf Stadt und Zivilisation, also fahren wir abends weiter nach Ålborg. Mitten in der Stadt gibt es einen Campingplatz, direkt am Limfjord gelegen, der die Stadt in einer weiten Schleife mittig durchtrennt. Ålborg kombiniert dänische Gemütlichkeit mit skandinavisch-urbaner Coolness. In der Altstadt kann man problemlos einen ganzen Tag damit zubringen, durch die engen Gassen zu spazieren und sich in einem stylishen Café neben dem anderen allerlei ziemlich gute Kaffee­sorten, Sandwiches, Detox-Säfte und Kuchen reinzuziehen – eben alles, was die Hipster-Küche gerade so hergibt. Außerdem findet man Street Art über die halbe Stadt verteilt. Mit Google Maps kann man sich schnell einen Rundgang zusammenstellen, um die hauswandgroßen Murals zu bestaunen.

Im regenbogenfar­bi­gen Rundgang auf dem Dach des Aarhus Kunstmuseums spürt man, wie sich Farben auf die Wahrnehmung und die Stimmung auswirken

Oder man fährt noch rund eineinhalb Stunden weiter südlich nach Aar­hus. Pflichttermin für Kunstliebhaber: Das ARoS Kunstmuseum mit seinen kontroversen Ausstellungen und dem regenbogenfarbigen begeh­ba­ren Glaskreis auf dem Dach, der noch dazu eine tolle Aussicht über die ganze Stadt bietet. Danach verschafft man seinem Hirn ein wenig Zerstreuung mit einem Spaziergang durch die hübsche Altstadt oder den botanischen Garten

Nach zwei Tagen Resozialisierung in der Stadt kribbelt es mir so langsam wieder in den Beinen. Wir fahren zurück an die Nordsee, immerhin habe ich mit Løkken noch eine Rechnung offen. Nur leider meint es der Wind nicht gut mit uns. Die seichte Brise reicht kaum zum Foilen. Das freut wiederum die Gleitschirmflieger. Die schweben oberhalb der Steilküste am frisch versetzten Leuchtturm von Rubjerg Knude über der riesigen Wan­der­düne um­her und freuen sich über die sanften Aufwinde. Ein nettes Schauspiel ver­bun­den mit einem kurzen Spaziergang – und doch kein adäquater Ersatz für eine Kite-Session. Auf der Wetterkarte sehe ich ein massives Tief heranziehen. Sturm aus Südsüdwest, dazu fette Wellen. Hier oben sollen aber nur einige mü­de Ausläufer ankommen, ehe der Lecker­bissen wieder in sich zusammenfällt wie ein Schokosoufflé, das man zu früh aus dem Ofen holt.

Da ich mit meiner Entscheidung, nach Løkken zu fahren, anstatt das tolle Flachwasser in Ålbæk zu nutzen, vor ein paar Tagen schon einmal tüchtig danebenlag, will ich lieber nichts ris­kieren. Richtig gute Wave-Tage be­kom­me ich als Wahl-Münchner leider viel zu selten. Also geht’s doch wieder zurück nach Nørre Vorupør, um mich mit den ganzen Wahnsinnigen dort um die Wellen zu kloppen. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich früher oder später noch einmal hinauffahren werde. Die Spots zwischen Jammerbucht und dem dänischen Nordkap haben es verdient, noch mal bei besseren Be­din­gun­gen inspiziert zu werden. Potenzial ist auf jeden Fall reichlich vorhanden – genau wie Platz auf dem Wasser. Und allein dafür lohnt sich die kurze Fahrt von Cold Hawaii ­hinauf nach Norden.

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